Rumänien: Die Wahl wird wiederholt, aber Georgescu bleibt ein Schreckgespenst

Călin Georgescu hat Rumäniens Politik ordentlich auf den Kopf gestellt. Als der russlandfreundliche Rechtsextremist vor zwei Wochen völlig überraschend die erste Runde der Präsidentschaftswahl gewann, erreichten die Schockwellen aus Bukarest auch die restliche EU.
Eigentlich hätte sich am morgigen Sonntag zeigen sollen, ob Georgescu gewinnt - seine Chancen gegen die Konservative Elena Lasconi standen sehr gut. Doch am Freitag noch annullierte das rumänische Verfassungsgericht die erste Runde, nachdem die Höchstrichter die Wahl für nicht frei befunden hatten. Geheimdiensterkenntnisse legen nahe, dass eine von Russland gesteuerte Kampagne maßgeblich zu seinem Erfolg beigetragen hat.
Egal, ob die Annullierung für Georgescu in der Wahlwiederholung Stimmeneinbuße bedeutet oder sie ihn womöglich sogar noch beflügeln wird - aus dem Rennen ist er vorerst nicht. In Brüssel muss man sich also weiter darauf vorbereiten, dass in dem osteuropäischen Land auch europapolitisch gesehen bald ein anderer Wind wehen könnte. Rumänien galt in der EU bislang als eher unkomplizierter, verlässlicher Partner.
Das 19-Millionen-Einwohner-Land Rumänien ist 2007 der EU beigetreten, zusammen mit Bulgarien.
Einer der wenigen wunden Punkte in der Beziehung zu Brüssel war seit jeher das Thema Korruption, bei dem die EU von Beginn an große Anstrengungen von Rumänien forderte.
Vor einer Woche wurde das rumänische Parlament gewählt - die prowestlichen Kräfte siegten, die Rechten erlebten aber einen starken Aufschwung.
Der parteilose Georgescu, der übrigens zwischen 2011 und 2021 in Österreich gelebt haben soll, gilt nicht nur als NATO-, sondern auch als großer EU-Skeptiker - selbst mit Austritten liebäugelte er immer wieder. Von Russland und Kremlchef Wladimir Putin schwärmt er hingegen - und kündigte an, im Falle seines Sieges jede Hilfe für die Ukraine einstellen zu wollen.
Mit der Außen- und Sicherheitspolitik der EU - einer jener Bereiche, bei denen das Einstimmigkeitsprinzip herrscht - stimmt das gar nicht überein. Auch, wenn das rumänische Parlament erstmal in den Händen proeuropäischer Kräfte bleibt (auch das wurde kürzlich neu gewählt): Es ist der Präsident, der im Europäischen Rat abstimmt und damit das Vetorecht hat und nicht, wie zum Beispiel in Österreich, der Regierungschef.
Dass Georgescu versuchen könnte, EU und NATO aus eigener Kraft zu verlassen, hält der EU-Experte Stefan Lehne von der renommierten Stiftung Carnegie Europe für unwahrscheinlich: „Das würde einen massiven Konflikt mit dem Parlament und zu viel Gegenwind bedeuten.“ Die allermeisten Rumänen wollen die EU nicht verlassen - auch, weil die wirtschaftlichen Erfolge davon deutlich spürbar sind. Zuletzt ist der Politiker auch schon zurückgerudert und betonte, sich nicht für diese Austritte einsetzen zu wollen.
Ein Verbündeter für Orbán?
Was Lehne sich aber schon vorstellen kann: „Georgescu würde sich wohl bemühen, das Lager von Viktor Orbán zu verstärken.“ Ein Lager, in dem er neben Ungarn auch die Slowakei unter Ministerpräsident Robert Fico verortet und das angesichts der potenziellen Rückkehr von Andrej Babiš als tschechischer Regierungschef im nächsten Jahr weiter wachsen könnte: „Das könnte eine Art südosteuropäischer Flügel sein, der Sympathien für Russland zeigt und den Ukraine-Krieg ohne große Rücksicht auf die Interessen der Ukraine lieber heute als morgen zu Ende zu bringen will.“
Der Experte betont auch, dass Orbán die Sanktionspolitik der EU gegen Russland letztlich mitgetragen hat, obwohl er oft so anderer Meinung war: „Er hat verzögert, er hat gewisse Ausnahmen durchgesetzt, aber sich nicht als totaler Blockierer positioniert.“ Doch: „Wenn er jetzt eine immer größere Gruppe um sich schart, wird seine Position stärker. Sein Lager würde dann vermutlich einen größeren Einfluss auf die Politik haben - allerdings nicht in einem konstruktiven Sinn. Es würde einfach weniger Politik übrigbleiben, weil ein größerer Teil davon blockiert wäre.“
Das mögliche Erstarken eines „Orbán-Flügels“ dürfte noch einmal wahrscheinlicher werden, wenn man bedenkt, wie innenpolitisch instabil und dadurch geschwächt die beiden großen und auf EU-Ebene traditionell einflussreichen Länder Frankreich und Deutschland derzeit sind. Dazu kommt, dass die USA unter Trump 2.0 ein viel schwerer einschätzbarer Partner sein werden.
Standpunkte unklar
Aktuell kann man aber noch nicht sagen, wie radikal Georgescu als Präsident tatsächlich agieren würde. Einerseits, weil man viele seiner Standpunkte noch gar nicht so genau kennt - er gehört ja keiner Partei an, auch Interviews hat er noch nicht so viele gegeben. Und andererseits, weil manche Politiker durch die Ausübung ihrer Ämter moderater werden. „Es gibt eine Art Sozialisierungseffekt, wenn Politiker in dieses System kommen und tatsächlich Verantwortung tragen müssen. Dann stehen die früheren radikalen Positionen in einem Widerspruch zur Realität“, sagt Lehne.
Das habe man zum Beispiel bei der italienischen Regierungschefin Giorgia Meloni gesehen - und auch bei Regierungsbeteiligungen der FPÖ in Österreich: „Manche FPÖ-Verteidigungsminister hatten plötzlich positivere Positionen gegenüber der EU-Außen- und Verteidigungspolitik.“ Erst, als sie wieder in der Opposition waren, seien sie wieder radikaler geworden. Manche Politiker würden aber auch erst im Amt radikaler, Orbán zum Beispiel.
Lehne spricht von einem „Vormarsch der Rechten“, erinnert aber daran, dass sie in der EU nach wie vor in der Minderheit sind: „Im Augenblick sind sie in sieben europäischen Regierungskoalitionen vertreten. Wenn man sich aber ansieht, wer in der Kommission oder im Rat sitzt, sind sie nach wie vor die Ausnahme.“ Noch würden sie die europäische Politik nicht bestimmen. Ob das irgendwann anders sein könnte, sei schwer vorauszusehen.
Dass Georgescu im nun annullierten ersten Wahldurchgang so gut abschnitt, könnte laut Lehne übrigens zum Teil auch an Österreich liegen. Denn ihm zufolge ist der Triumph Georgescus im ersten Wahldurchgang u. a. auch damit zu erklären, dass die Rumänen sich zunehmend „als EU-Bürger zweiter Klasse“ behandelt fühlen: „Hierfür hat auch Österreich mit der Schengen-Blockade einen gewissen Beitrag geleistet, die sehr starke Verärgerung ausgelöst hat.“
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