Vergangenen Freitag hat der Internationale Gerichtshof (IGH) Israel angewiesen, aufgrund der katastrophalen humanitären Lage im Gazastreifen die umstrittene Offensive im Süden zu stoppen. Dass die israelische Armee dem nachkommt, gilt als unwahrscheinlich. Die Urteile des IGH sind endgültig und verbindlich, doch das Gericht hat keine Durchsetzungsmechanismen. Elsharkawi teilt die Einschätzung vom IGH, spricht von Zuständen wie in Slums, in denen die Menschen leben: "Schon vor dem 7. Oktober hat die Bevölkerung täglich 500 Lastwagen mit Hilfslieferungen benötigt. Die Unterernährung ist gravierend, vor allem bei Frauen und Kindern."
Sorge vor Krankheiten
Neben den tödlichen Gefahren aus dem Himmel und des Verhungerns steigt die Sorge vor Epidemien. "Cholera, Hautkrankheiten, Hepatitis, Atemwegserkrankungen sind das Hauptproblem in vielen medizinischen Einrichtungen“, bestätigt der Regionaldirektor. Kein sauberes Wasser zum Trinken oder Waschen, keine sanitären Einrichtungen, wachsende Müllberge und ein Zusammenbruch des Abwassersystems – Hilfsorganisationen warnen vor einer Ausbreitung von Krankheiten in den kommenden warmen Monaten. "Uns sollte bewusst sein, dass Epidemien keine nationalen Grenzen kennen."
Dazu kommen Kinder, Frauen, Männer, die ihr Leben lang psychische Traumata von dem Erlebten davontragen. Elsharkawi warnt: "Die Folge können wir aus der Geschichte entnehmen: eine sehr wütende Generation, die auch die Politik in Zukunft beeinflussen wird."
Zu wenig Hilfslieferungen
Der Kanadier, selbst als Kind in den 60er-Jahren während Kämpfe aus Gaza evakuiert, übt auch Kritik an der Berichterstattung: "Schlagzeilen wie 'Hilfe kommt nach Gaza', wenn 50 Lkw über den Grenzübergang fahren, sind eine PR-Show. Solange nicht täglich auf sicherem Weg und dauerhaft Tausende Hilfslieferungen zu den Menschen gelangen, können wir nicht von Hilfe für Gaza sprechen."
Zu Berichten über Plünderungen von Hilfslieferungen, auch durch Hamas-Kämpfern, sagt Elsharkawi: "Plündern ist das falsche Wort. Wir haben es mit einer verzweifelten, hungernden und durstigen Bevölkerung zu tun, die versucht, für ihre Familien irgendetwas zu ergattern, damit sie überleben." Eine gerechte Verteilung der Hilfslieferungen, wie es sonst üblich sei, nämlich in Zusammenarbeit mit Gemeindevertretern, religiösen Institutionen oder karikativen Einrichtungen, sei aufgrund des Zusammenbruchs der Verwaltung kaum mehr möglich. "Das Erste, was es für eine organisierte und gerechte Verteilung braucht, sind mehr Hilfslieferungen."
Eskalation im Westjordanland?
Zuletzt hat sich Elsharkawi im Westjordanland aufgehalten. Dort seien die Angriffe bewaffneter, rechtsextremer jüdischer Siedler angestiegen; Krankenwagen oder humanitären Helfern würde der Zugang verweigert, NGO-Mitarbeiter seien Anfeindungen ausgesetzt. "Abseits der Weltöffentlichkeit findet dort ein weiterer Krieg statt. Die Menschen und Helfer dort sprechen von einer dritten Intifada, die jederzeit stattfinden könnte. Ein Aufstand der gesamten Bevölkerung, die genug hat."
Er sei pessimistisch, so der Rot-Kreuz-Regionaldirektor, wie sich die Lage auf kurze Sicht weiterentwickelt. "Selbst wenn der Krieg heute enden würde, würde die Arbeit für die nächsten Jahrzehnte erst beginnen. Der Wiederaufbau, die Rehabilitation der Bevölkerung, von Waisen und Kriegsverletzten."
Ein kleiner Hoffnungsschimmer sei für ihn das wachsende internationale Bewusstsein, "dass diese Grausamkeit aufhören muss. Es geht nicht mehr nur darum, den Krieg zu beenden. Ein sofortiger Waffenstillstand allein ist keine Lösung, dann wird das Problem zehn Jahre aufgeschoben, bis es wieder auftaucht. Ich beobachte auf diplomatischer Seite, dass die Bereitschaft wächst, die Ursachen des Konflikts anzugehen. Das gibt mir Hoffnung."
Das Rote Kreuz bittet dringend um Spenden:
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