Nach Attentat auf Fico: Wieso ist die Slowakei so gespalten?
„Wir stehen am Rande eines Bürgerkriegs“, warnte der slowakische Innenminister Šutaj Eštok nach dem schockierenden Attentat auf Ministerpräsident Robert Fico am Mittwoch - und appellierte an Öffentlichkeit, Journalisten und Politiker, „mit der Verbreitung von Hass aufzuhören“. Auch Präsidentin Zuzana Čaputová, eigentlich Ficos Gegenspielerin, rief auf: „Die hasserfüllte Rhetorik, die wir erlebt haben, muss aufhören“.
Wie konnte es dazu kommen, dass der 59-jährige Linkspopulist mitten in der Stadt Handlová angeschossen und schwer verletzt wurde? Viele meinen, das vergiftete politische Klima und die bei politischen Themen aufgeladene Stimmung im Land habe einen Beitrag dazu geleistet.
Unmut über geplante Auflösung des öffentlich-rechtlichen RTVS
Dafür spricht auch eine Aussage des mutmaßlichen Attentäters nach dem Angriff, die der Sender TA3 verbreitete: "Ich stimme der Regierungspolitik nicht zu." Als Beispiel nannte er die von der Regierung geplante und höchst umstrittene Auflösung des öffentlich-rechtlichen RTVS, der von einem neuen, wohl stärker staatlich kontrollierten Sender namens STVR ersetzt werden soll.
Neben einer ebenfalls kontrovers diskutierten Kennzeichnungspflicht für NGOs nach dem Vorbild Ungarns trieb vor allem die Sorge vor einer weiteren Einschränkung der Pressefreiheit bereits seit Wochen Tausende Menschen auf die Straße. Die Regierung dürfte mit der Aktion einen wunden Punkt bei der Bevölkerung getroffen haben, wurden doch vor sechs Jahren der slowakische Journalist Ján Kuciak und seine Verlobte Martina Kušnírová von einem Auftragsmörder erschossen.
Journalisten laut Fico "dreckige, antislowakische Huren"
Kuciak hatte über die Verbindung der damaligen Regierung Fico zur italienischen Mafia recherchiert, die Regierung brach daraufhin zusammen. Kuciaks Vater berichtete am sechsten Todestag seines Sohnes, die Ermittlungen in dem Fall seien von Anfang an behindert worden. Der Hauptverdächtige Auftraggeber wurde 2023 freigesprochen.
Bereits 2016 bezeichnete Fico Journalisten als „dreckige, antislowakische Huren“. Seit seiner Wiederwahl vergangenen Herbst griff er kritische Journalisten verschiedenster Medien ebenfalls wieder scharf an. Neben dem RTVS ging er auch private Medien wie den Kanal Markiza, die Zeitung Dennik N oder das Portal Aktuality an. Für Letzteres hatte Ján Kuciak gearbeitet.
Eine im April veröffentlichte Studie des „Committee for Editorial Independence“ ergab, dass 65 Prozent der befragten Slowaken sich um die Medienfreiheit ihres Landes Sorgen machen. Redakteure berichten, keine Informationen und Interviews mehr von Regierungsmitgliedern zu bekommen. Bei kritischen Medien würden Ministerien zudem kaum noch inserieren.
Beobachter sagen, der Jurist Fico sei vor seiner jüngsten Wiederwahl rhetorisch deutlich radikaler aufgetreten als gewohnt, um auch extremer ausgerichtete Wähler abholen zu können. In die Hände gespielt haben dürfte ihm hierbei, dass viele Slowaken mit der Vorgängerregierung unzufrieden waren und sich angesichts der Krisen in der Slowakei, Europa und der Welt nach Ordnung sehnten – Fico versprach, ihnen genau die zu geben.
Gewalt gegen Regierung vorausgesagt
Ob sich die Rhetorik im Land angesichts des großen Schocks um den Angriff auf Fico nun entschärfen wird, ist fraglich. Ľuboš Blaha, Ficos Stellvertreter als Smer-Vorsitzender, sah „die Progressiven, die gesamte Opposition, die liberalen Medien“ keine zwei Stunden nach dem Attentat als Verantwortliche dafür. Die Schuld würden diese „niemals wegwaschen“ können, sagte er.
Fico hat schon im April Gewalt gegen Regierungsmitglieder vorausgesagt und im Zuge dessen die Medien kritisiert. Er sprach in einem Facebook-Post wörtlich vom Mord an einem führenden Regierungspolitiker: "Sie beschimpfen die Regierungspolitiker auf der Straße auf obszöne Weise, und ich warte nur darauf, dass diese Frustration, die von [Tageszeitungen und Nachrichtenservern] Dennik N, Sme oder Aktuality so intensiv geschürt wird, in den Mord an einem führenden Regierungspolitiker mündet. Und ich übertreibe nicht im Geringsten", sagte er nach Angaben der Nachrichtenagentur ČTK.
Andrej Danko von der rechtsnationalen Regierungspartei SNS forderte nach dem Attentat einen Reporter auf, seinen Presseausweis abzugeben. Andere fragte er: „Sind Sie zufrieden?“ RTVS hat seine Sicherheitsmaßnahmen im Redaktionsgebäude in Bratislava daher am Donnerstag verschärft und Teile sogar geschlossen.
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