Regierungskrise nach Brexit-Deal: May angezählt

Regierungskrise nach Brexit-Deal: May angezählt
Parteifreunde lassen Theresa May reihenweise im Stich. Eine Parlamentsmehrheit für ihren Deal scheint unrealistisch.

Der erste war Shailesh Vara. Der britische Nordirland-Staatssekretär trat Donnerstagfrüh zurück. Nur wenige Stunden, nachdem er dem Brexit-Deal zwischen Brüssel und London zugestimmt hatte, schrieb er auf Twitter, er könne das Abkommen nicht unterstützen.

Dem Parteifreund von Premierministerin Theresa May folgte jener Mann, der an der Ausarbeitung des Abkommens zumindest anfänglich (bevor May das Zepter an sich genommen hat) maßgeblich beteiligt war: Dominic Raab.

Der Brexit-Minister, ebenfalls von Theresa Mays Tories, trat mit einer ähnlichen Begründung zurück. Der Entwurf sei eine „sehr reale Bedrohung“ für das Königreich.

 

Danach ging die Rücktrittswelle bei den Tories weiter. Es folgten Arbeitsministerin Esther McVey und Brexit-Staatssekretärin Suella Braverman.

Die EU und London haben sich diese Woche nach eineinhalb Jahren Verhandlungen auf einen Vertrag geeinigt, der die Regeln für einen Austritt Großbritanniens aus der EU am 29. März 2019 enthält. Doch dieser Vertrag wird zum Fallstrick für May.

De facto hatte die Premierministerin am Mittwoch die Zustimmung ihres Kabinetts erhalten. Aber die Rücktritte verraten, dass bei Weitem nicht alle dem Deal zustimmen. Die feine englische Art?

"Mit jeder Faser meines Seins"

„Die Premierministerin ist bekannt für ihre Tänze. Nach diesem Deal wissen wir, zu wessen Musik sie tanzt“, sprach Andrew Bridgen im britischen Parlament ins Mikrofon und meinte jene der EU und der Brexit-Gegner. Auch dieser Abgeordnete ist ein Parteifreund von May.

Bei einer kurzfristig einberufenen Pressekonferenz verteidigte May am Abend ihren Kurs:  „Ich glaube mit jeder Faser meines Seins, dass der Kurs, den ich vorgegeben habe, der richtige für unser Land und unser ganzes Volk ist“.

Die Regierungschefin warnte vor „großer Unsicherheit“, wenn ihr Plan scheitern sollte, und stellte klar: „Ich werde das durchziehen.“

Untergriffe im Unterhaus

Zuvor hatte sich May im Unterhaus mannigfaltigen Untergriffen stellen müssen. Technisch gesehen sollten es Fragen sein, die sie zum Brexit-Deal beantworten sollte. Praktisch waren es Angriffe, verpackt in rein rhetorische Fragen – großteils aus ihrer eigenen Fraktion, nicht etwa von der Opposition. 

Regierungskrise nach Brexit-Deal: May angezählt

May stellte sich stundenlang den Abgeordneten

Theresa May kämpfte sich durch die stundenlange Parlamentsdebatte. Doch scheinbar jeder wollte ihr noch eins auswischen. Der Tenor: Der von ihr ausgehandelte Brexit-Deal sei schlecht; man habe sich von der EU über den Tisch ziehen lassen; May wolle gar nicht austreten; man solle die Briten noch einmal abstimmen lassen.

Letzteres, das wurde May auch nach Stunden des Debattierens nicht müde zu betonen, sei aber keine Option.

Mehrheit schwindet

Die Parlamentsabstimmung Anfang Dezember wird jedenfalls zur Nagelprobe für die Regierungschefin. Neben der Labour-Party haben bereits die nordirischen Unionisten (DUP), die Liberaldemokraten sowie die Schottische Nationalpartei SNP ihre Ablehnung zum Ausdruck gebracht – und zudem rund 80 Parteifreunde von May.

Darunter viele Brexit-Befürworter, deren Hoffnungen auf eine unabhängige britische Handelspolitik durch diesen Vertrag zunichte gemacht würden. Diese könnte Großbritannien in Zukunft nur in jenen Bereichen machen, die nicht die Zollunion mit der EU bzw. den Warenverkehr betreffen.

Misstrauensvotum

Eine Mehrheit für den Deal im britischen Parlament wird also immer unwahrscheinlicher. Stattdessen sammeln sich die Stimmen für ein anderes Vorhaben: ein Misstrauensvotum gegen die Premierministerin. Partei-„Freund“, Brexit-Befürworter und May-Gegner Jacob Rees-Mogg hat seinen Antrag dafür am Donnerstag an das zuständige „Komitee 1922“ übermittelt. Für eine Abstimmung werden 48 entsprechende Briefe aus den Tory-Reihen benötigt. Wie viele schon eingegangen sind, weiß nur Komitee-Vorsitzender Sir Graham Brady. Manche Kommentatoren glauben zu wissen, dass es schon weit mehr als 48 seien.

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