Extremismus-Experte: "In allen Sicherheitsbehörden gibt es Rechtsextreme"
"Völker", die "vernichtet" werden müssen, "destruktive Rassen", "Ausländerkriminalität"... Die Ansichten, die Tobias R. vor seiner Tat im Internet geteilt hat, hätten den Geheimdienst alarmieren müssen, heißt es hinterher. Doch die Überwachung eines Täters wie jenem von Hanau ist schwer.
Tobias R. war laut Hessens Innenminister Peter Beuth zuvor nicht im Visier der Ermittler, er war weder als fremdenfeindlich bekannt gewesen noch polizeilich in Erscheinung getreten.
Der KURIER sprach mit dem Rechtsextremismus-Experten Hajo Funke über die Schwierigkeiten beim deutschen Verfassungsschutz.
Fühlen sich Täter wie Tobias R. von rechter Stimmung ermutigt? Woran wächst so ein fremdenfeindlicher Hass?
Natürlich glaube ich, dass er dadurch ermutigt worden ist. Auch das ihm zugeschriebene Dokument spricht dafür. Weil es sich ähnlicher Argumente auf radikalisierter Weise bedient.
Fremdenfeindlicher Hass wächst mit der Chance, dass man Gleichgesinnte findet, die ihn ebenfalls für begründet erachten.
Zählt R. zur "rechtsextremen Szene" im weiteren Sinn?
Soweit wir wissen ist er nicht der rechtsextremen Szene zuordenbar. Aber er bediente sich der rechtsextremen Theorien, die im Internet verbreitet werden, beziehungsweise Elementen davon.
Er radikalisierte sie zu Größen- und Verfolgungswahn-Vorstellungen. Und zwar in einer scheinrationalen Weise und in einigermaßen korrektem Deutsch.
Sind Menschen mit derart wirren Vorstellungen nicht überwachbar?
Solche Menschen sind nicht automatisch überwachbar. Aber was Sicherheitsbehörden und Politik tun können, ist, früher und anders auf diese Gefahren aufmerksam zu machen. Das passiert vor allem in Hessen zu wenig. Man denke an den Mord an (CDU-Politiker Walter) Lübcke und an Halit Yozgat (NSU-Opfer). (In beiden Fällen hat es Verstrickungen des Verfassungsschutzes mit Tätern gegeben, Anm.) Das wurde alles nicht genügend aufgeklärt.
Der Verfassungsschutz scheint gerade rechtsextreme Gefährder manchmal zu übersehen. Trügt das Bild?
Nein. In allen Sicherheitsinstitutionen gibt es Rechtsextreme. Aber das liegt auch daran, dass es dort über die letzten 20 Jahre hinweg immer wieder Schwächen gab.
Sie können überleben, wenn die Organisationsstruktur von oben und von unten schlecht ist. Das war bei (dem ehemaligen Verfassungsschutz-Präsidenten Hans-Georg) Maaßen der Fall. Er hat in Ausschüssen systematisch Aufklärung blockiert. Jetzt hat jemand anderer übernommen (Thomas Haldenwang) – man kann nur hoffen, dass jetzt ein anderes Klima herrscht.
Die Umsetzung ist eine Herkulesaufgabe. Eine Institution lässt sich nicht so einfach umbauen, wenn die Spitze ausgewechselt wird.
Sind die Geheimdienste finanziell und personell ausreichend ausgestattet?
Am allerwichtigsten ist Transparenz und Kontrolle. Dann kann man über neue Einsatzfelder oder Personal nachdenken. Für gute Kontrolle braucht es auch die Leute, die das alles durchführen wollen. Derzeit gibt es nicht genug unabhängige Kontrolle.
Die Verfassungsschutzbehörden haben sich in der Geschichte der Bundesrepublik immer wieder selbständig gemacht und dabei nicht der Sicherheit gedient.
Geheimdienstinformationen sind nicht öffentlich. Sie reichen sehr viel weiter als die Öffentlichkeit zu hören bekommt. Die Informationen müssen richtig eingeordnet und interpretiert werden. Daran hat es in Deutschland lange gemangelt.
Steigt die Gefahr des Rechtsextremismus?
Ja. Es gibt immer mehr Rechtsextremismus. Die Strukturen, Szenen, Netzwerke und der Untergrund wurden lange nicht systematisch angegangen. Da darf man sich nicht wundern.
Befeuern Medien solche kruden Vorstellungen, indem sie über die Gedankenwelt von derartigen Tätern berichten?
Natürlich müssen Medien berichten. Je genauer und analytischer, desto besser. Man muss die Schwächen im Täterprofil darstellen. Man kann diese Taten nicht verleugnen.
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