Putins Glaubenskrieger: Mit Wunder und Propaganda gegen die Ukraine
Boulevardzeitungen tragen überall in der Welt gerne ein bisschen dicker auf. Doch was die russische Komsomolskaja Prawda vor ein paar Tagen in ihrem Regionalteil zusammendichtete, erzählt wohl weniger über die Fantasie der Schreiber als über deren millionenfaches Publikum. Ein „Blutwunder“ habe sich in der Kirche der russischen Streitkräfte in Moskau ereignet. Rote Flüssigkeit tropfte also von einer Ikone, die das offensichtlich regelmäßig tut, wenn irgendwas bei der Armee schiefgeht. Üblicherweise aber, so beruhigte die Zeitung, würde das Wunder die Herzen der Feinde milde stimmen.
Es sind also Wunder, die in diesen Tagen in Russland und von seiner orthodoxen Kirche gefragt sind, von einer Gesellschaft, die in weiten Teilen tief religiös ist – und es in den Putin-Jahren wohl noch mehr geworden ist.
Das Wort der Kirche und ihres Patriarchen Kirill hat also gerade in diesen Kriegstagen Gewicht. Doch der betet nicht um Frieden, sondern um einen Sieg Russlands über die „bösen Mächte“. Nicht auslachen lassen dürfe sich das Vaterland von diesen „dunklen und feindlichen äußeren Kräften“.
Es mag kritische Stimmen in Russlands Orthodoxie geben, die den Angriffskrieg gegen das angebliche „Brudervolk“ der Ukraine zumindest kritisieren. Doch das Kirchenoberhaupt marschiert mit dem Kreml im strammen ideologischen Gleichschritt. Der erzkonservative 75-Jährige sieht wie Putin selbst Russland in einem tief greifenden Glaubenskrieg mit den bösen Mächten des Westens. Ganz auf Linie des Präsidenten und seiner Propaganda spricht er von Russland und dessen Existenzkampf gegen den Westen.
Solidarität mit Putin: Die politische Führung in Belgrad stellt sich hinter Moskau – und die religiöse steht ihr um nichts nach: Keine Verurteilung des russischen Angriffs kam vom serbisch-orthodoxen Patriarchen Porfirije, lediglich verwaschene Stehsätze.
Zwar erklärte das Belgrader Patriarchat, dass jeder Krieg eine Tragödie sei. Die Formulierungen blieben aber vage – eine Verurteilung der Aggression blieb gänzlich aus. Es sei „eine schmerzliche Tatsache, dass zwei völlig einander nahe stehende Brudervölker gleichen Glaubens aufeinanderprallten, deren Geschichte und Kultur untrennbar miteinander verflochten sind“.
Nähe zum Regime: Anders als die heutige katholische Kirche und insbesondere Papst Franziskus verstehen sich die orthodoxen Kirchen grundsätzlich als tragende Säule politischer Systeme – auch wenn diese autoritär oder sogar verbrecherisch sind. So unterstützt der Patriarch der syrisch-orthodoxen Kirche bedingungslos das Assad-Regime. „Lieber habe ich einen säkularen Diktator als einen religiösen, der behauptet, im Namen Gottes zu handeln“, sagte Ignatius Aphrem II. auf dem Höhepunkt des Krieges in Syrien. Von Menschenrechtsverletzungen wollte das Kirchenoberhaupt nichts wissen.
Die griechisch-orthodoxe Kirche stellte mit Erzbischof Makarios in den 1960ern sogar den Präsidenten der Republik Zypern. Gegen den russischen Angriff aber hat sich das heutige Patriarchat in Athen offen ausgesprochen.
Dieser Westen steht in den Augen des Patriarchen für eine zerstörerische Moderne, die „die Weltmacht beansprucht“ und die Religion und ihre Werte grundsätzlich ablehnt. Wie sehr sich Kirill in diesen Kriegstagen in seine Wahnideen verstrickt hat, zeigen Predigten, in denen er „Schwulenparaden“ in der Ukraine quasi zum Kriegsgrund stilisiert.
Die Rechtgläubigen im Osten des Landes – also die von Moskau unterstützten Separatisten – hätten es nicht mehr ertragen können, „dass die Sünde eine Spielart menschlichen Verhaltens ist“.
Das Verhältnis zwischen Kirche und Staat ist im heutigen Russland so eng wie seit den Zeiten des Zaren nicht mehr. Die Religion, die im Kommunismus unterdrückt worden war, ist wieder Sinnstifter – und Putin hat sich darum gekümmert, dass sie auch zu Geld kommt. Die ihm treuen Oligarchen sind verlässliche Spender. Er selbst wiederum achtet darauf, sich regelmäßig in der Kirche und auf den Knien vor deren Oberhaupt zu zeigen.
Gemeinsame Ziele
„Die orthodoxe Kirche unterstützt das Bestreben Putins, die Ukraine wieder unter die russische Einflusssphäre zu bringen“, erläutert Kristina Stoeckl, Religionssoziologin an der Universität Innsbruck, dem KURIER.
Das habe auch kirchenpolitische Gründe. Dass in der Ukraine nach der Unabhängigkeit eine eigenständige orthodoxe Kirche entstanden sei, die sich zunehmend der Oberhoheit Moskaus entziehe, sei für Kirill nicht hinzunehmen: „Das Moskauer Patriarchat ist immer schon der Ansicht, dass die Kirchen und Gläubigen in der Ukraine unter Moskaus Verwaltung und geistlicher Führerschaft stehen sollten.“
Man ist sich also einig, im Kreml und im Moskauer Danilow-Kloster, dem Amtssitz des Patriarchen. Die Rus, also der längst mythisch überhöhte Ursprung Russlands, muss wieder unter eine gemeinsame religiöse und politische Führung, und da gehört die Ukraine eben dazu. Doch die sei eben den Verlockungen des Westens verfallen. Nur darum, so Kirill, sei diese „einfache und entsetzliche Loyalitätsprüfung zwischen Ost und West“ notwendig. Und in so einem Glaubenskrieg zu kämpfen, hieße, „auf der Seite Gottes zu stehen“.
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