"Kulturkrieg": Wie Putins Kirche den Westen bekämpft
Dass mit der russisch-orthodoxen Kirche eine christliche Kirche im Ukraine-Konflikt Kriegsherr Wladimir Putin unterstützt, sorgt im Westen für Entsetzen. Doch auch in westlichen Kirchen gibt es radikale Strömungen, die sich mit den Russisch-Orthodoxen global vernetzen. Wer zu diesen Netzwerken gehört und wie gefährlich sie sind, erklärt Religionssoziologin Kristina Stoeckl von der Universität Innsbruck im KURIER. Sie hat seit 2016 intensiv zur „globalen christlichen Rechten“ geforscht.
KURIER: Überrascht es Sie, dass die russisch-orthodoxe Kirche Putins Angriffskrieg gutheißt?
Kristina Stoeckl: Nein. Das Moskauer Patriarchat pflegt ein sehr enges Verhältnis zum Staat und zur Regierung von Wladimir Putin. Die orthodoxe Kirche unterstützt das Bestreben Putins, die Ukraine wieder unter die russische Einflusssphäre zu bringen.
Wie kann eine christliche Kirche heute territoriales Anspruchsdenken haben?
Das Moskauer Patriarchat ist immer schon der Ansicht, dass die Ukraine ihr kanonisches Territorium ist, dass die Kirchen und Gläubigen in der Ukraine unter Moskaus Verwaltung und geistlicher Führerschaft stehen sollten. In der Ukraine ist es 2018 zur Neugründung einer unabhängigen orthodoxen Kirche gekommen. Das Moskauer Patriarchat hat diesen Schritt nicht akzeptiert und erachtet diese Kirche als abtrünnig und feindlich. Sie interpretiert das als Verlust ihres eigenen kanonischen Territoriums.
Welche Werte vertritt die russisch-orthodoxe Kirche?
Die Kirche macht sich für „traditionelle Werte“ stark. Das klingt nach alten Überlieferungen, dabei ist der Begriff in der aktuellen kirchlichen Verwendung neu. In Russland wird er seit circa 20 Jahren sowohl in der Kirche als auch in der Politik verwendet und steht für Werte wie den starken Staat, traditionelle Familienbilder und Geschlechterrollen. Er meint auch die Ablehnung westlicher, liberaler Werte wie Nichtdiskriminierung aufgrund sexueller Orientierung oder Herkunft. Auch Putin spricht davon, dass Russland für diese traditionellen Werte steht. Somit sehen sich Russland und die russisch-orthodoxe Kirche als Verteidiger traditioneller christlicher Werte gegen einen säkularen, liberalen Westen.
Hat die russisch-orthodoxe Kirche mit dieser Haltung Verbündete im Westen?
Ja, diese militante Verteidigung konservativer Werte kommt bei erzkatholischen Gruppen in Europa und Amerika sowie bei amerikanischen Evangelikalen gut an. Konservative Aktivisten besprechen bei Treffen wie dem Weltfamilienkongress 2017 in Budapest, wie Säkularismus und liberale Werte eingedämmt werden können. Diese Kontakte gibt es seit Mitte der 90er. Sie haben sich seither intensiviert und dazu geführt, dass sich die russisch-orthodoxe Kirche nicht mehr nur als Gegnerin des Westens sieht, sondern als Mitstreiterin in einem Konflikt, den es im Westen gibt. Ein Konflikt zwischen einer konservativen und einer liberal-progressiven gesellschaftlichen Einstellung – ein Kulturkrieg.
Von welchen Parteien wird dieses Netzwerk in Europa unterstützt?
Allen voran von Viktor Orbáns Fidesz. Ungarn ist für dieses transnationale interreligiöse Netzwerk – oder die globale christliche Rechte – ein wichtiger Knotenpunkt. Auch die italienische Lega unter Matteo Salvini, die AfD in Deutschland und die FPÖ zu Zeiten von Heinz-Christian Strache zählen dazu. Es ist bekannt, dass Johann Gudenus in Russland bei Tagungen gesprochen hat, wo es um die Verteidigung des Christentums in Europa ging.
Der Westen verteidigt sich gegen den Westen. Wie lässt sich das erklären?
Der Moskauer Patriarch Kyrill hat Anfang März in einer Predigt gesagt, die Invasion im Donbass sei notwendig geworden, denn der Donbass werde bedroht vom liberalen Westen und dessen Gay-Pride-Paraden. Das sei zwar extrem formuliert, doch im Kern habe Kyrill recht, schrieben rechte US-Kommentatoren. Der Westen sei antichristlich geworden und müsse verteidigt werden. Viele konservative Christen in den USA – darunter sind Evangelikale, Katholiken und Orthodoxe – sehen sich in der Minderheit, fühlen sich bedroht. In diesem Gefühl der Bedrohung suchen sie auch nach Allianzen außerhalb der USA. Und Putin war sicher einer dieser Unterstützer, auf den sie geblickt haben.
Wie gefährlich sind diese religiös-politischen Allianzen?
Für sich genommen sind solche Gruppen sowohl in den USA als auch in Europa relativ klein, sie werden durch die transnationale Vernetzung aber verstärkt und damit im politischen Prozess sichtbarer. Das ist keine Besonderheit, auch linke progressive Bewegungen machen das so. Die Gefahr, die ich sehe, betrifft den demokratischen Dialog. Letztendlich ist es so, dass sich Gesellschaften einigen müssen über geltende Gesetze. Das ist ein Aushandlungsprozess. Dafür gibt es die Politik, Parlamente und die Bevölkerung. Es wird schwieriger, gegenseitiges Verständnis aufrechtzuerhalten, wenn bestimmte religiöse Gruppen nicht mehr der Meinung sind, dass Demokratie der beste Ort für sie ist.
Warum lehnen sie die Demokratie ab?
Die Demokratie wird nicht mehr als politische Ordnung wahrgenommen, in der ihre Vorstellung von religiösem Leben am besten gedeiht. Das birgt Konfliktstoff innerhalb der Kirchen, denn die christlichen Kirchen in Europa haben sich seit dem Zweiten Weltkrieg ganz klar für die Demokratie ausgesprochen und zum Beispiel Religionsfreiheit garantiert. Von diesem Konsens verabschiedet sich die radikale rechte Minderheit in allen christlichen Kirchen, was zu einer Spaltung führt.
Seit wann findet diese Spaltung statt?
Seit Jahrzehnten. Die Vernetzung dieser globalen christlichen Rechten passierte zuerst innerhalb der Kirchen. Der Vatikan ist in den 1990ern zu einem Geburtshelfer für diese Vernetzung geworden, als er gesagt hat, das Christentum müsse sich gegen die wachsende Gender-Ideologie und den Feminismus wehren. Die Quelle für diese Entwicklungen liegt in den Kirchen, allerdings gibt es auch kirchliche Gegenstimmen. Papst Franziskus steht der globalen christlichen Rechten kritisch gegenüber, er setzt andere Prioritäten.
Im Westen wird das Christentum oft mit Aufklärung gleichgesetzt. Ist das überhaupt gerechtfertigt?
Die Aufklärung wurde gegen die Kirchen geführt. Aber es stimmt, die Betonung eines aufgeklärten Christentums nimmt vor allem das westliche Christentum für sich in Anspruch. Die östlichen orthodoxen Kirchen haben das nie getan. Im Gegenteil, sie haben sich immer sehr kritisch gezeigt gegenüber der Aufklärung als einer intellektuellen geistigen Strömung Europas. Antiwestlich zu sein heißt ja vor allem auch, gegen die Aufklärung zu sein.
Kommentare