Proteste in Weißrussland: EU berät, aber Moskau hält die Zügel
Vor dem Einsatz extremer Gewalt schreckt das Regime von Machthaber Alexander Lukaschenko seit einigen Tagen zurück. Doch mit Repressionen und Einschüchterung versucht der weißrussische Diktator weiter seine schwindende Macht zu retten.
"Der engste Zirkel um Lukaschenko scheint noch immer darauf zu setzen, dass sich die Lage wieder beruhigt", schildert Weißrussland-Experte Christopher Forst, Repräsentant der Friedrich-Ebert-Stiftung für Belarus (mit Büro in Kiew).
Doch angesichts der riesigen Mobilisierung im Land, der Streiks und den immer größeren Protesten werde es, sagt Forst im Gespräch mit dem KURIER, "für Lukaschenko immer schwieriger, sich zu halten".
Je mehr die Macht des "letzten Diktator Europas" wankt, desto gefährlicher wird es. So hieß es gestern bereits grollend aus Moskau: "Jeglicher Versuch der Einmischung von außen in die inneren Angelegenheiten der Republik, der zu einer weiteren Eskalation führen könnte, ist inakzeptabel." Russland sieht den kleinen Nachbarn als unverzichtbaren Teil seiner Einflusssphäre.
Für Moskau von Nutzen
Zwar waren die Beziehungen zwischen Moskau und dem Lukaschenko-Regime nicht immer friktionsfrei. Doch für Kremlherrn Putin war es von Nutzen, dass der Langzeit-Diktator in Minsk ein anti-russisches Weißrussland verhindert hat.
Eine pro-westliche Regierung in Minsk, die eine Annäherung an die EU oder gar NATO anstreben könnte, würde Moskau nicht dulden.
Sollte Lukaschenko tatsächlich stürzen, hält Experte Forst ein militärisches Eingreifen Russlands beim weißrussischen Nachbarn dennoch "für sehr unwahrscheinlich. Möglich aber wäre, dass Moskau dann auf hybride Maßnahmen zurückgreift: Desinformationskampagnen und symbolische Aktionen, etwa Truppenverlegungen innerhalb Russlands an die weißrussische Grenze."
Alarmglocken in der EU
In der EU läuten mittlerweile ebenfalls alle Alarmglocken. Ein Sondergipfel der EU-Staats- und Regierungschefs wurde für Mittwoch Mittag (per Video) einberufen. Dass sich die höchste politische Ebene der EU mit dem kleinen Nachbarstaat im Osten Europas befasst, zeugt von der Brisanz der Ereignisse.
Dabei geht es vor allem um zwei Botschaften:
Solidarität für die Zivilgesellschaft in Weißrussland. Vor allem aber um ein warnendes Stoppschild an Russland. Bei einem Telefonat zwischen Kanzlerin Angela Merkel und Russlands Präsident Vladimir Putin versuchte die deutsche Regierungschefin klarzustellen: Die EU unterstütze die Forderung nach Neuwahlen in Weißrussland, wolle aber jegliche Eskalation vermeiden.
Viel Handhabe hat die EU in Weißrussland nicht. Vorbereitet wird eine Sanktionsliste für Personen aus dem Lukaschenko-Elitezirkel, die für Gewaltakte und Wahlfälschungen verantwortlich sind.
Nach Meinung von Maria Kalesnikova wäre selbst solch eine Sanktionsliste schon zu viel. Sie ist die einzige der drei jungen Oppositionsführerinnen, die noch nicht ins Exil gedrängt wurde. Demonstrativ plädierte sie gestern dafür, dass die Beziehungen Weißrusslands zu Russland nicht aus der Balance geraten.
Und Sanktionen gegen Personen des Regimes, beharrte sie, machten einen Dialog noch schwieriger. "Man kann nicht gleichzeitig einen Dialog beginnen wollen und Sanktionen ausrufen", sagte Kalesnikova in einem Interview mit der Welt.
Umso eiliger drängt die Opposition nun darauf, Strukturen zu schaffen, um Diktator Lukaschenko abzulösen. Gestern wurde ein Koordinierungsrat gegründet, er könnte der Kern einer künftigen Übergangsregierung werden. An seiner Spitze soll Svetlana Tichanowskaja stehen – die 37-jährige Oppositionsführerin, die die Wahl klar gewonnen haben dürfte.
Lukaschenko selbst kündigte indessen an, gegen den Rat vorgehen zu wollen. Er ließ zudem das Militär an die Westgrenze zu Polen verlegen. Es sei in voller Alarm- und Einsatzbereitschaft, erklärte er im Fernsehen.
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