Politologe Fukuyama: "Der EU fehlt es an Demokratie"

Politologe Fukuyama: "Der EU fehlt es an Demokratie"
Europa in der Krise. US-Politologe Fukuyama in Wien über den Vormarsch der Rechtspopulisten.

Eigentlich hat ihn ja ein Denkfehler weltberühmt gemacht. Vor 30 Jahren, nach dem Ende des Ostblock, sah Francis Fukuyama das „Ende der Geschichte“ voraus (wenn auch mit Fragezeichen). Die liberale Demokratie, die ihren Bürgern maximale Freiheit, ihr Leben zu gestalten, gebe, werde sich endgültig weltweit als das führende politische System durchsetzen.

Es kam anders, die westliche Demokratie ist in der Krise, bedrängt durch autoritäre Systeme wie Russland oder China, geschwächt durch populistische Parteien, deren Wähler vor allem ihrem Ärger folgen.

Das ist die Herausforderung, der sich auch der US-Politologe heute stellt: In seinem neuen Buch „Identität“, aber auch bei einem Vortrag in Wien als Gast der Erste Stiftung. Hier stellte er sich den Fragen internationaler Medien, darunter des KURIER.

Ob „das Ende der Geschichte“ vielleicht nicht die liberale Demokratie sei, fragt sich Fukuyama, sondern „ein System wie in Ungarn, wo ein Machthaber wie Orban zwar legitim gewählt ist, jetzt aber mit allen Mitteln versucht, dass er nie wieder eine Wahl verliert“.

Die EU müsse sich viel stärker gegen Orban und all die anderen zunehmend autoritären Systeme in Osteuropa zur Wehr setzen: „Man hätte starke finanzielle Hebel, müsste einfach nur damit aufhören, mit EU-Förderungen Orban zu helfen, seine Macht zu befestigen.“

 

Nicht nur Ungarn, sämtliche EU-Staaten Osteuropas würden an „einem Mangel an nationalem Selbstbewusstsein und einer zerbrechlichen Identität“ leiden. Dadurch könnten die dortigen populistischen Regierungen sehr gut die Opferrolle gegenüber Brüssel einnehmen. Fukuyama: „Jede Kritik wird als Attacke auf das ganze Land ausgelegt.“

Doch der Rückzug hinter die Grenzen der Nationalstaaten findet nicht nur im Osten der EU statt. Fukuyama ortet überall eine Schwäche der europäischen Identität: „Die nationale Identität ist weit stärker als das europäische Bewusstsein.“ Dieses sei meistens nur bei den Eliten zu finden, jenen Gruppen also, die wirklich von einem gemeinsamen Europa profitieren würden.

Euro war ein Fehler

Dass die EU in naher Zukunft stärker zusammenwachsen könnte, hält der US-Politologe für „unrealistisch. Die EU wird es schwer haben, bisherige Erfolge zu bewahren.“

Ohne wirklich gemeinsame Politik in einer Art Vereinigten Staaten von Europa könne Europa seine Vorzüge aber oft gar nicht ausspielen. Der Euro etwa sei unter den momentanen politischen Umständen, „ein Fehler“ gewesen, auch wenn die gemeinsame Währung langfristig die einzige Perspektive sei.

Ein Grund für das mangelnde Vertrauen vieler Europäer in die EU sei auch deren Demokratiedefizit: „Die EU ist im Kern nicht wirklich demokratisch.“ Ihre mächtigste Institution, die EU-Kommission, sei zugleich die am wenigsten demokratische.

Für die meist rechten Populisten ein perfektes Feindbild. Der Brexit aber, der unmittelbar bevorstehende EU-Austritt Großbritanniens, werde vielen EU-Skeptikern die Augen öffnen: „Dann wird deutlich werden, wie schmerzhaft es wirtschaftlich ist, auf einmal ohne die EU dazustehen.“

Das werde all jene, die mit dem EU-Austritt ihrer Länder politische Spiele treiben, leiser treten lassen.

Trotzdem plädiert Fukuyama für mehr Verständnis für jene Europäer, die ihre Stimme Populisten geben. Gerade in den Medien ortet er eine „snobbistische Haltung“ gegenüber diesen Wählern aus der weißen Arbeiterklasse.

Vor allem sozialdemokratische Parteien müssten sich wieder verstärkt um deren Sorgen annehmen. „Viele dieser Wähler haben das Gefühl, dass sich die Linke nicht für ihre Ängste interessiert. Hier bräuchten gerade diese Parteien klare Botschaften: „Europa muss in der Lage sein, Zuwanderung zu kontrollieren, und dafür braucht es strenge Einwanderungsgesetze.“

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