Brexit: Firmen fürchten Schrecken ohne Ende

Ja für May-Deal ist denkbar, Termin 29. März wird aber kaum halten, sagt Experte Menon. Briten unterschätzen "No deal"-Chaos.

Ein Chaos-Brexit („No deal“) würde die britische Wirtschaft zwar weder über eine Klippe noch in eine Rezession stürzen, glaubt Anand Menon, Professor am King’s College in London.

Garstige wirtschaftliche Folgen wären aber fast unvermeidbar. Menon ist zugleich Direktor des (visionärerweise schon 2014 gegründeten) Institutes "UK in a Changing Europe". Und er ist zu einem der gefragtesten unabhängigen Brexit-Experten geworden.

„Es könnte gut sein, dass wir uns in zehn Jahren wundern: Warum stehen die Österreicher eigentlich so viel wohlhabender da als wir?“, sagte Menon am Dienstag bei einer Informationsveranstaltung in der Wirtschaftskammer  (WKO) in Wien.

Der Wohlstand pro Kopf werde langfristig nämlich im besten Fall um nur zwei, im schlechtesten aber um fast neun Prozent geringer ausfallen, als wären die Briten in der EU geblieben.

Bittere Pointe: Am härtesten trifft es dabei genau jene Regionen der Insel, die ohnehin davor schon abgehängt waren. Und wo die meisten Einwohner für den Brexit gestimmt hatten.

Fataler Irrtum

Ungeachtet dessen unterlägen viele Briten immer noch der fatalen Fehleinschätzung, „no deal“ heiße, es würde sich nichts dramatisch ändern, sagte Menon im Gespräch mit dem KURIER.

„Das ist aber nicht so, wie wenn man mit dem Angebot eines Autohändlers unzufrieden ist und deshalb im alten Pkw heimfährt. Die Analogie wäre viel eher: Das alte Auto ist in die Luft geflogen und man steht ganz ohne da.“

Erst langsam sickere ein Bewusstsein durch, was ein vertragsloser EU-Austritt bedeuten würde. Für Reisende und den Tourismus, für das Transportwesen. Rechtlich tue sich ein "schwarzes Loch" auf, für die Turbulenzen würde die EU verantwortlich gemacht werden. Das politische Klima würde weiter vergiftet.

12. März: Resultat ist offen

Ob es so weit kommt, entscheidet sich am 12. März – das ist der nächste Brexit-Stichtag im britischen Parlament. Obwohl sie zuletzt eine historische Abstimmungsniederlage erlitten hat, könnte Premierministerin Theresa May dieses Mal eine Mehrheit für ihren EU-Austrittsvertrag finden.

Die Austritte einiger Labour- und Tory-Abgeordneten hätten nämlich die Positionen beider Großparteien in Bewegung gebracht. Zudem spüren die Briten zweieinhalb Jahre nach dem Referendum negative Folgen im Börsel. Und einige aggressive Medien scheinen sich mit dem May-Deal abzufinden.

Kurze Verschiebung ist nötig

Fix sei aber gar nix. Und selbst bei einem Ja könnte der Brexit kaum am 29. März stattfinden: „Es braucht mindestens einen Monat Zeit, um die nötigen Gesetze durchs Parlament zu schleusen“, sagt Menon.

Eine längere Verschiebung würde allerdings in Konflikt mit den europaweiten Wahlen zum EU-Parlament am 26. Mai geraten. Ein zweites Referendum hält Menon für unwahrscheinlich - nicht nur, weil das eine lange Vorbereitung benötigen würde, sondern weil es keine Mehrheiten für eine neuerliche Abstimmung gebe. Und schon gar keine Einigkeit über die Fragestellung.

Kleinbetriebe suchen Rat

Ein Schrecken ohne Ende – davor graut den Unternehmen besonders. Dann wären all die zeitaufwändigen und auch teuren Vorbereitungen sowie die aufgestockten Warenlager obsolet.

Manche Unternehmen haben sogar den Betriebsurlaub in den April verlegt, um die Chaostage zu umgehen. Auch das wäre hinfällig.

Während große Konzerne weitgehend vorbereitet seien, hätten Klein- und Mittelbetriebe eher Probleme mit dem Brexit, sagt WKO-EU-Experte Christian Mandl. Bei der Brexit-Hotline hätten im ersten Monat rund 100 Firmen Rat gesucht, davon 81 Prozent KMU mit wenig Erfahrung bei Drittstaaten-Exporten.

"Endlich eine Entscheidung"

„Die Unsicherheit ist Gift“, sagt Christian Haring, Logistikchef der Technologieschmiede AVL, die 600 Mitarbeiter auf der Insel beschäftigt. Man habe alles Menschenmögliche getan, um sich vorzubereiten. Jetzt brauche es endlich eine klare politische Entscheidung.

Grünes Licht für den May-Deal wäre indes auch noch kein Endpunkt. Dann begännen erst die Verhandlungen über die künftigen EU-Beziehungen.

Normalerweise gebe es bei Handelsabkommen Gewinner und Verlierer in unterschiedlichen Branchen. Das sei in diesem Fall anders: Es wäre der erste Vertrag, der den Handel erschwere statt erleichtere, sagt Menon: Somit gehe es nur darum, „Schmerzen zu lindern“. Ein politisch äußerst undankbarer Job, der noch viel Konfliktstoff birgt.

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