Es ist nicht so, dass in Brüssel keiner Viktor Orbán mag. Im Gegenteil. Der ungarische Premier, übrigens der längst gediente Regierungschef unter den 27 EU-Staats- und Regierungsoberhäuptern, gilt unter seinesgleichen als verschmitzt, humorvoll und auch durchaus charmant - aber eben auch als stur und beinhart, wenn es um seine eigenen Interessen geht.
Bundeskanzler Karl Nehammer erzählte einmal, wie es ihn zuweilen zum Schmunzeln bringe, wenn er Orbán bei EU-Gipfeln beobachte: Da höre sich der ungarische Premier durchaus freundlich und geduldig an, was da so diskutiert werde - und dann, wenn es an ihm liege, deute er mit dem Zeigefinger und sage einfach nur lässig. "No, no, no."
Dieses Mal, in den Tagen vor dem nächsten EU-Gipfel (Mitte Dezember) sagt Orbán schon im Vorfeld "No". Und dieses Nein, hätte weitreichende Konsequenzen, wenn er es denn bis zum Schluss durchzieht. Für Ungarn. Für die Ukraine und damit auch für ganz Europa, also auch für uns in Österreich.
Warum macht Orbán das?
So viel Macht
Wie kann das kleine Ungarn in der EU so viel Macht haben, Entscheidungen zu beeinflussen? Weil im Kreise der 27 Staats- und Regierungschefs - und sie sind es, die die prinzipielle Richtung Europas vorgeben -, einstimmig entschieden werden muss. Und diese Macht des Vetos auch eines kleines Landes nutzt Orban nun aus, um zwei richtungsweisende Wege zu blockieren.
Zum einen soll darüber entschieden werden, ob die EU Beitrittsgespräche mit der Ukraine eröffnet. Und während die anderen 26 EU-Granden wohl zustimmen werden - also auch Kanzler Nehammer - legt sich Orbán quer. Natürlich weiß auch der ungarische Premier, dass so eine Beitrittseinladung alles andere als einen baldige Aufnahme der Ukraine bedeutet. Siehe Balkanstaaten: Da wird etwa mit Serbien oder Montenegro seit weit mehr als 10 Jahren verhandelt... und beide Staaten sind einem Beitritt keinen Millimeter näher gerückt.
Auch bei der Ukraine würde es, sofern es ein Ja zu Verhandlungen gebe, Jahre, wenn nicht Jahrzehnte dauern. Warum dann überhaupt Gespräche starten? Als ein geostrategisches Zeichen, heißt es in Brüssel: Die Ukraine gehöre zu Europa - und nicht zu Russland, lautet die Botschaft.
Orbán aber pfeift auf die Geostrategie und sagt: Wie soll man verhandeln, wenn die Ukraine noch im Krieg ist? Alle Voraussetzungen für Gespräch fehlten - und damit hat er nicht unrecht. Wenn man den wirtschaftlichen und politischen Fakten folgen würde, gäbe es nie und nimmer Gespräche mit Kiew - doch darum geht es eben nicht, sondern um Symbolik und langfristige politische Einflussnahme.
Auch bei den EU-Milliardenhilfen für die Ukraine legt er sich quer
50 Milliarden Euro - ein Drittel davon Kredite - bis zum Jahr 2027 sind vorgesehen. Das ist keine militärische Hilfe (die wird extra ausgezahlt), sondern es sind Mittel für den Erhalt des Staates - also für Verwaltung, Löhne, Spitäler usw usw.
Sagt Orbán auch hier weiter "No", wäre es viel verheerender als sein Nein zu EU-Beitrittsgesprächen: Der ukrainische Staat würde finanziell zusammenbrechen. Er könnte sich dann auch nicht mehr ausreichend verteidigen und würde wohl den Krieg verlieren. Schwer auszumalen, wie Russland dann weiter vorgehen würde - und Flüchtlinge, noch viel mehr Flüchtlinge, würden sich dann wieder auf den Weg in Richtung Westen machen.
Freilich, Brüssel würde versuchen, auf anderen Wegen Milliardenhilfen für die Ukraine aufzubringen. Aber ob es reichen würde, ist alles andere als sicher.
Warum macht Orbán das?
Und so liegt das Schicksal der Ukraine nun auch in Orbáns Hand. Aber warum macht er das? Warum blockiert er sein eigenes Nachbarland, aus dem natürlich auch wiederum viele Flüchtlinge kommen würden?
"Reine Erpressung", ärgert man sich in Brüssel: Die EU hat 27 Milliarden Euro an ungarischen Finanzhilfen blockiert . Bevor die ungarische Regierung die Unabhängigkeit ihrer Justiz nicht wieder sicherstellt, bevor sie Korruption nicht wirksamer unterbindet und klarmacht.
So, und jetzt sind beide am Drücker: Orban gegen Brüssel - Brüssel gegen Orban. Bis zum EU-Gipfel nächste Woche wird gepokert und Kräfte gemessen. Wie es aussieht, könnte die EU zumindest einen Teil der blockierten Gelder für Ungarn freigeben. Ob sich Orban damit zufrieden gibt, bleibt abzuwarten. Auch er könnte zu einem Teil der Forderungen ja sagen: Ja zu den 50 Milliarden Euro für die Ukraine - und weiter Nein zum EU-Beitritt.
Denn der alte politische Fuchs Orban weiß ganz genau, dass EU-Beitrittsgespräche mit der Ukraine vorerst ohnehin nur Symbolik sind. Realer Schaden würde nicht entstehen.
Ein Nein zu Beitrittsgespräche - es wäre ein schlechtes Symbol für die Ukraine und die gesamte EU - aber ein gutes Symbol für Orban, den selbst ernannten Kämpfer für die "illiberale Demokratie".
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