Es ist kein Geheimnis, dass die Grünen mit der Ostseepipeline, die Gas aus Sibirien nach Westeuropa pumpen soll, ein Problem haben. Schon im Wahlkampf haben sie sich dagegen ausgesprochen. Und Annalena Baerbock bleibt als Außenministerin auch jetzt dabei: Nord Stream 2 könne derzeit nicht genehmigt werden. Sie beruft sich dabei auch auf den Koalitionsvertrag. Darin stehe, dass für Energieprojekte europäisches Energierecht gelte. Um nicht dagegen zu verstoßen, muss der Betreiber der Pipeline ein anderer sein, als derjenige, der das Gas durchleitet. Die Bundesnetzagentur, die das Zertifizierungsverfahren führt, setzt voraus, dass die Firma nach deutschem Recht organisiert sei. Die Nord Stream 2 AG, mit Sitz in der Schweiz, versucht nun, eine deutsche Tochtergesellschaft zu gründen.
Doch für Baerbock und Co. geht es auch um den Sicherheitsaspekt – und die angespannte Lage an der Grenze zwischen Russland und der Ukraine. Sie würden die Inbetriebnahme, ähnlich wie die USA, an Deeskalationsbemühungen knüpfen.
Kräftemessen
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ist anderer Meinung. Und so wird die Pipeline zum ersten innerkoalitionären Kräftemessen des Ampel-Bündnisses aus SPD, Grünen und FDP: Wer hat außenpolitisch das Sagen? Scholz, der beim EU-Gipfel in Brüssel von einem „privatwirtschaftlichen Vorhaben“ sprach, über das nicht mehr politisch entschieden werde? Oder Baerbock, die Menschenrechte und Klimaschutz stärker im Außenamt verankern will – und gegenüber Russland härter auftritt als ihre Vorgänger.
An ihrer Seite: Wirtschaftsminister Robert Habeck, der bei Nord Stream 2 von einem „geopolitischen Fehler“ spricht. „Was passiert, wenn Russland die territoriale Integrität der Ukraine weiter verletzt und die Lage eskaliert?“, so Habeck in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. „Jede weitere militärische Aggression könne nicht ohne scharfe Konsequenzen bleiben“, sagte der grüne Vizekanzler. „Alle europäischen Länder, außer Deutschland und Österreich“ wären immer gegen das deutsch-russische Projekt gewesen.
Besonders in Polen und der Ukraine herrscht Unmut. Der polnische Regierungschef Mateusz Morawiecki rief Scholz dazu auf, die Pipeline nicht in Betrieb zu nehmen. Nicht nur, dass Polen wie der Ukraine dadurch Geld verloren geht – bisher ließ man sich den Gastransit der Russen nach Europa gut bezahlen. Da die Pipeline jetzt durchs Meer nach Mecklenburg-Vorpommern verläuft, würden die Einnahmen geringer.
Morawiecki sieht in Nord Stream 2 auch ein Werkzeug der „Erpressung“ Europas in der Hand des russischen Präsidenten Putin. Dieser könnte nach Belieben den Gashahn auf- und wieder zudrehen.
Wie stark sich das in Europa auswirkt, wurde erst diese Woche wieder deutlich. Nachdem die Gaslieferungen nach Deutschland durch die Pipeline „Jamal“ am Dienstag ausgesetzt wurde, sprangen die Großhandelspreise in Europa um zwanzig Prozent nach oben. Der Kreml bestreitet einen Zusammenhang mit dem Ukraine-Konflikt und Nord Stream 2. Gazprom erfülle weiterhin alle vertraglichen Lieferverpflichtungen mit den EU-Staaten.
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