Noch aber bezweifelt die europäische Politspitze offenbar, dass Russland diese extreme Eskalation tatsächlich wagen würde. Und so beschränkt man sich auf scharfe Warnungen.
„Jede weitere militärische Aggression wird schwere Konsequenzen und hohe Kosten nach sich ziehen“, heißt es in der Schlusserklärung des Gipfels. Nehammer versicherte der Ukraine am Mittwoch, dass sie nicht allein gelassen werde.
Nordstream 2
Über Wirtschaftssanktionen gegen Russland wird nicht geredet. Ein Thema könnte aber die russische Ölpipeline Nordstream 2 sein. Die Mehrheit der EU-Staaten sieht sie skeptisch. Nicht so Österreich.
Kanzler Nehammer bezeichnete Nordstream 2 am Mittwoch als ein „geostrategisches Projekt für die EU, nicht für Österreich allein“. Zuvor hatte er in einem Interview mit der Welt gesagt, er erwarte, dass die Pipeline wie geplant bald in Betrieb genommen werden könne.
Damit dürfte sich der Kanzler bei jenen Regierungschefs keine Freunde gemacht haben, die Russlands Druckpotenzial auf Europa eindämmen wollen.
Mauern an Außengrenzen
Nehammers größtes Anliegen bei seinem ersten Gipfel war ohnehin ein anderes: die Migration. Wie schon sein Vorgänger Schallenberg und Vorvorgänger Kurz forderte er in Brüssel, dass die EU ihren Außengrenzschutz verbessern müsse.
Zudem machte sich Nehammer für eine stärkere Rückführung abgewiesener Asylwerber in ihre Heimatländer stark. Und er forderte, dass die EU für „Infrastrukturmaßnahmen“ – sprich Mauern – zahlen soll.
Er habe Kommissionschefin Ursula von der Leyen klar gemacht, welchem „Belastungsdruck wir ausgesetzt sind“, sagte Nehammer. Von der Leyen sei sehr beeindruckt gewesen von den Zahlen, die Österreich „zu stemmen“ habe, so der Kanzler: „Das ist ein nicht allgemein vorhandenes Wissen auch innerhalb der Europäischen Kommission.“
Leerer Sessel für Belarus
Auch über dem Gipfel gestern Nachmittag mit den Regierungschefs der östlichen Nachbarländer (Ukraine, Georgien, Moldawien, Aserbaidschan und Armenien) schwebte Putins Schatten. Vor zwölf Jahren hatte die EU einen hehren Plan gefasst: Man wollte die Länder aus dem Einflussbereich der Ex-UdSSR näher an die EU heranholen, ohne sie als Mitglieder aufzunehmen. Geworden ist daraus ein Papiertiger.
Denn wo immer die Staaten in Richtung EU oder NATO blinkten, hat Russland Soldaten eingesetzt und damit Druckmöglichkeiten geschaffen: Russlandfreundliche Kämpfer stehen in der Ostukraine. Die russischen Soldaten in Transnistrien halten Moldawien in Schach und Teile Georgiens (Ossetien) stehen seit dem Krieg 2008 unter russischer Kontrolle. In Aserbaidschan und Armenien, die heuer wieder Krieg führten, war es Russland, das den Waffenstillstand aushandelte, und nicht die EU.
Weißrusslands Diktatur Lukaschenko, ein Verbündeter Putins, hat Belarus selbst aus der Östlichen EU-Partnerschaft ausgeladen. Weil aber die EU Lukaschenko nicht als legitimen Präsidenten anerkennt, hat man für Belarus beim Gipfel einen leeren Sessel in die Runde gestellt.
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