Netanjahu steht mit dem Rücken zur Wand
Ein Netanjahu gibt nicht auf, bevor auch der allerletzte Trick nicht aus dem Ärmel gezogen wurde. Hat „Bibi“ keine Chance mehr, nutzt er sie. Doch irgendwann geht nichts mehr. Der Vorsitzende der rechten Jamina-Partei, Naftali Bennett, kündigte an, er werde alles unternehmen, um ein Bündnis mit Oppositionsführer Jair Lapid zu schließen. Und damit die Ära Netanjahu zu beenden. Bennett gilt als Königsmacher, „Bibi“ hatte lange um ihn geworben.
Um Netanjahu besser zu verstehen, empfiehlt sich ein Blick auf zwei Gruppenfotos: Seiner Regierung von 2009 und der von 2020. Im früheren Bild stehen neben und hinter Netanjahu 30 Ministerinnen und Minister. Nur einer von ihnen sitzt noch in der jetzigen Regierung.
Netanjahu hat keine Freunde, nur Verbündete. Auf Zeit, meist sehr kurze Zeit. Als Vertraute gelten allenfalls noch seine Frau Sara und Sohn Jair. Wer in Netanjahus Umfeld Platz finden will, kommt an diesen beiden nicht vorbei.
Alle anderen Persönlichkeiten im Bild von 2009 sind entweder verstorben, in die Anonymität zurück, wegen Korruption im Gefängnis – oder mutierten von Verbündeten zu Gegnern. Einige sagen auch: Feinde. In der geplanten neuen Regierung „ohne Bibi“ werden sie in der ersten Reihe stehen. Sofern sie zustande kommt – Bennett räumte am Montag noch einige Hindernisse ein. Die Gräben zwischen den Parteien, die Netanjahu stürzen wollen, sind breit. Sollte ein Konsens gelingen, würde es sich bei dem Bündnis vermutlich um eine Minderheitsregierung handeln, die von arabischen Abgeordneten geduldet wird. Lapids Mandat zur Bildung einer Regierung läuft am Mittwoch um Mitternacht aus.
Dazu bietet sich noch ein historischer Vergleich an: Netanjahus Antrittsrede von 2009 mit wachsenden wirtschaftlichen Erwartungen und seine Schimpftirade vom Sonntag, nach der offiziösen Ankündigung einer Regierung „ohne Bibi“.
„Linke Verräter“
2009 schwingen noch vor allem wirtschaftlicher Optimismus und Hoffnung mit: „Dass wir ein kleines Land sind, ist doch gerade von Vorteil: ein wendiges Schnellboot unter großen Dampfern.“ Sonntagabend gab es nur noch Angstmacherei, Panik und düstere Zukunft: „Dieser Zusammenschluss ist ein Jahrhundertbetrug linker Verräter, die vor dem Feind nur Verzicht kennen.“
Wann immer Netanjahu seine allzu oft großschnäuzigen Ankündigungen nicht wahr machte, hörte er auf seine Sicherheitsberater. Sie riefen ihn zur Vernunft. Die positive Seite seiner Politik besteht darin, dass er auf sie in existenziellen Fragen hörte.
Aber auch seine Berater halten es nicht lange neben ihm aus. Alle von ihm ernannten ranghohen Beamte wurden ins Amt geholt, weil sie als „Rechte“ galten. Und fielen schon bald danach in die Bedeutungslosigkeit oder in Ungnade.
Netanjahu wälzte auf sie die Misserfolge ab. Erfolge wiederum, von den neuen Beziehungen zu arabischen Staaten bis zur Corona-Impf-Kampagne, verbuchte Netanjahu ausschließlich auf sein Privatkonto. Seine Devise schien: „Er ist der Staat, und alle sind seine Diener“. Doch Werbekampagnen sind leicht mit Politik zu verwechseln. Aber nicht auf Dauer.
Einige seiner Fans halten dennoch eisern an ihm fest: Seit Sonntag stehen sie vor den Wohnungen der Herausforderer und grölen Parolen. „La Familia“, so nennt sich der harte Kern, schnauzt auch Familien an, auch Frauen und kleine Kinder.
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