Frieden in Gaza stockt: Hamas-Entwaffnung als Hürde
Zusammenfassung
- Die Umsetzung des Gaza-Friedensplans stockt vor allem an der Forderung nach Entwaffnung der Hamas, die von der Mehrheit der Palästinenser abgelehnt wird.
- Trotz Waffenruhe bleibt die humanitäre Lage im Gazastreifen prekär, und die Hamas behält weiterhin Kontrolle und Rekrutierungsmöglichkeiten.
- Ein dauerhafter Frieden erscheint unwahrscheinlich, da weder Israel noch die Hamas die Bedingungen des Plans erfüllen wollen und internationale Truppen kaum bereitstehen.
Seit mehr als zwei Monaten gilt im Gazastreifen offiziell eine Waffenruhe. Doch für die Menschen in dem verwüsteten Küstenstreifen ist der Alltag weit entfernt von Normalität.
Der 46-jährige Mahmud Abd al-Hadi etwa musste mit seiner Familie während des zweijährigen Krieges immer wieder fliehen. Bis heute ist ihr Alltag geprägt vom Kampf um die Versorgung und der Angst vor einem neuen Ausbruch der Gefechte zwischen islamistischer Hamas und Israels Armee.
Die Menschen seien müde, sagt al-Hadi. "Meine Kinder fragen mich, wann wir nach Hause zurückkehren, wann das Leben wieder normal wird. Und ich habe keine Antworten. "Die nun anstehende zweite Phase des 20-Punkte-Plans von US-Präsident Donald Trump sieht eine Entwaffnung der Hamas und die Einsetzung einer internationalen Stabilisierungstruppe (ISF) vor. Die Terrororganisation lehnt es jedoch strikt ab, ihre Waffen niederzulegen.
Klare Mehrheit der Palästinenser gegen Entwaffnung der Hamas
Die Meinungen zu einer Entwaffnung der Hamas gehen auch in der Bevölkerung auseinander. Während der vierfache Vater al-Hadi dafür ist, dass die Hamas ihre Waffen niederlegt, lehnt der 29-jährige Ahmed Nasser al-Attar dies klar ab. "Wer vom Ende der Hamas oder vom Wiederaufbau Gazas spricht, ist realitätsfremd", sagt er. Die gegenwärtige Waffenruhe sei kein Frieden, "sondern nur eine vorübergehende Pause". Ohne eine echte Friedensregelung und ein Ende der israelischen Besatzung von palästinensischen Gebieten werde der Konflikt weitergehen, ist der zweifache Vater überzeugt. "Meine größte Angst ist, dass meine Kinder im selben Kreislauf aufwachsen wie wir: Krieg, brüchige Ruhe und dann wieder Krieg."
Laut einer Umfrage des Palästinensischen Zentrums für Politik und Meinungsforschung in Ramallah lehnen rund 70 Prozent der Palästinenser die im Friedensplan Trumps vorgesehene Entwaffnung der Hamas ab. Besonders im Westjordanland ist die Ablehnung mit 80 Prozent hoch, während sie im vom Krieg gezeichneten Gazastreifen bei 55 Prozent liegt.
Mehrheit der Palästinenser unterstützt Hamas-Terror von Oktober 2023
Und: Trotz der katastrophalen Zerstörungen und des Tods Zehntausender Menschen in dem Küstenstreifen unterstützt laut der Umfrage weiterhin mehr als die Hälfte der Palästinenser den Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023, der den Krieg ausgelöst hatte.
Die humanitäre Lage in dem blockierten Gebiet hat sich zwar seit der Waffenruhe etwas verbessert, doch insgesamt bleibt die Situation prekär. Nach jüngsten Angaben des UN-Nothilfebüros Ocha sind mehr als 80 Prozent der Gebäude in dem Küstenstreifen am Mittelmeer zerstört oder beschädigt. Zahlreiche Menschen, die ihre Häuser verloren haben, hausen weiter in Zeltlagern und sind dabei winterlichem Wetter ausgesetzt.
Kompletter Sieg über Hamas eine Illusion
Der vom israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu versprochene "absolute Sieg" über die Hamas hat sich als Illusion erwiesen. Die Terrororganisation hat in dem von ihr kontrollierten Gebiet wohl auch mit Hilfe ihres brutalen Vorgehens gegen interne Gegner weiter die Macht, obwohl sie durchaus geschwächt ist. Die Hamas hat allerdings keine Probleme, neue Kämpfer zu rekrutieren – sicherlich auch angesichts der Wut vieler Menschen über Israels hartes Vorgehen im Krieg.
Trump sprach nach der Vereinbarung einer Waffenruhe am 10. Oktober nach zwei Jahren Krieg von "Frieden in Nahost". Vereinbart wurde lediglich eine Waffenruhe – und selbst die bleibt fragil, es kommt immer wieder zu tödlichen Vorfällen. Nach Angaben der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde sind seit Beginn der Waffenruhe rund 400 Palästinenser im Gazastreifen getötet worden. Ähnlich wie im Libanon greift Israel weiter in dem Küstenstreifen an, nach Darstellung der Armee handelt es sich um Terrorziele. Dabei kommen jedoch auch Zivilisten ums Leben.
Im Zuge des Gaza-"Friedensplans" wurden alle noch lebenden Geiseln der Hamas freigelassen, die israelischen Truppen zogen sich im Gegenzug aus Teilen des Gazastreifens zurück. Die Leiche einer am 7. Oktober 2023 entführten Geisel befindet sich weiter im Gazastreifen - damit sind weiterhin nicht alle Bedingungen der ersten Phase des Trump-Plans erfüllt.
Ungewissheit über nöchste Phase
Es ist unklar, wie die nächste Phase umgesetzt werden soll. Und damit ist auch offen, ob sich die Lage dauerhaft stabilisieren lässt. Nach Darstellung des US-Sondergesandten Steve Witkoff geht es aber durchaus voran. Nach Sondierungen mit Vertretern Ägyptens, Katars und der Türkei schrieb er am Samstag auf X, in den kommenden Wochen sollten weitere Gespräche folgen, "um die Umsetzung der zweiten Phase voranzutreiben". Und der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu besucht vom 29. Dezember an eine Woche lang die USA, dabei sind auch Gespräche mit Trump über das weitere Vorgehen geplant.
Gazastreifen de facto in zwei Hälften geteilt.
Der mit einer UN-Resolution abgesicherte Plan verlangt auch einen weiteren Rückzug israelischer Truppen aus dem Küstenstreifen. Der palästinensische Politikwissenschaftler Ghassan Chatib meint, der Übergang zur zweiten Phase sei "schwierig bis unmöglich". Weder für Israel noch die Hamas sei es ein echtes Anliegen, die Bedingungen zu erfüllen. Es liege im Interesse Israels, die Kontrolle über die Hälfte des Gazastreifens zu behalten und seine Truppen nicht weiter zurückzuziehen.
"Und die Hamas ist überzeugt, dass es besser ist, die Kontrolle über eine Hälfte des Gazastreifens zu bewahren, als die Option zu akzeptieren, die ihr in der zweiten Phase des Abkommens geboten würde", sagt Chatib. Außerdem sei es schwierig, Länder zu finden, die im Rahmen der Stabilisierungstruppe militärische Verantwortung übernehmen wollten.
Bisher hat nur die Türkei eine klare Bereitschaft bekundet, Israel lehnt dies jedoch wegen der stark israelkritischen und Hamas-freundlichen Haltung des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan ab.
Entwaffnung der Hamas bleibt größtes Hindernis
Der israelische Politikwissenschaftler Jonathan Rynhold betont, ohne eine Entwaffnung der Hamas könne es keine ernsthaften Fortschritte in den Bemühungen um eine dauerhafte Befriedung des Gastreifens geben. "Niemand wird die Hamas entwaffnen außer der israelischen Armee, denn keines der Länder, die sich zu einer internationalen Truppe verpflichtet haben oder dies in Erwägung gezogen haben, ist bereit, das zu tun", sagt Rynhold. Er sehe überdies "keine Chance", dass Trump amerikanische Bodentruppen entsendet könnte, um dies selbst in die Hand zu nehmen.
"Dies bleibt das zentrale Hindernis, denn ohne eine Entwaffnung würde man schlicht eine Organisation bestehen lassen, die (das Massaker am) 7. Oktober verübt hat und gemeinsam mit Verbündeten in der Region die Zerstörung Israels anstrebt", sagt der Politikwissenschaftler.
Zudem werde niemand große Summen in den Wiederaufbau des weitgehend zerstörten Küstenstreifens investieren, wenn davon auszugehen sei, dass der Konflikt zwischen der Hamas und Israel weiter andauert.
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