Wie realistisch ist eine Entwaffnung der Hamas in Gaza?

Ein Kämpfer der Al-Qassam-Brigaden der Hamas bei der Übergabe von drei israelischen Geiseln  am 22. Februar 2025.
Trumps Plan sieht für die Hamas keine Zukunft im Gazastreifen vor. Doch der Weg dahin ist unklar. Noch genießt die Terrormiliz Schonfrist.

Die Männer knien mit verbundenen Augen, die Hände am Rücken gefesselt, auf dem staubigen Boden; der Schuss kommt von hinten in den Rücken. Die öffentlichen Hinrichtungen angeblicher Verräter oder Clan-Mitglieder im Gazastreifen sind eine Machtdemonstration der islamistischen Terrormiliz Hamas, die den US-Präsidenten Donald Trump drohen ließ: Sollte die Terrororganisation damit nicht aufhören, "werden wir keine Wahl haben als hineinzugehen und sie zu töten", schrieb er auf Truth Social. Mit "wir" meinte Trump weniger US-Truppen als die israelischen Streitkräfte.

Der aktuelle Waffenstillstand? Er wäre damit Geschichte. 

Viel mehr hofft man, dass die nächsten Schritte in Trumps 20-Punkte-Plan umgesetzt werden, der von Beginn an viele Fragen ungeklärt ließ: zum Beispiel, wie eine Entwaffnung der Hamas gelingen kann. "Entweder gibt die Hamas ihre Waffen freiwillig ab", sagt Simon Engelkes, Leiter des Auslandsbüros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Ramallah, "was sie bisher abgelehnt hat und ohne Gegenleistung eher unwahrscheinlich ist." Die Bewaffnung sichert das Überleben der Terrormiliz, die in Verhandlungen zum Waffenstillstand und Kriegsende zwar eingebunden gewesen war, in der Zukunft des Gazastreifens aber keine Rolle spielen soll.

Zwar hat Trump hochrangigen Hamas-Führern eine Amnestie oder freies Geleit ins Ausland in Aussicht gestellt. Israel dürfte das jedoch kaum akzeptieren. Und, gibt Engelkes zu bedenken: "Nach dem israelischen Angriff auf Doha auf die Hamas-Delegation werden sich viele arabische Staaten überlegen, ob sie dieses Risiko eingehen wollen."

Zweite Option: Die Hamas wird gezwungen – durch politischen Druck oder ein militärisches Eingreifen von außen. "Damit riskiert man aber ein Wiederaufflammen der Kämpfe."

Ein Hamas-Kämpfer in Khan Yunis am 17. Oktober 2025.

Ein Hamas-Kämpfer in Khan Yunis am 17. Oktober 2025.

Trumps Sicherheitstruppe

Ob dafür die im Plan genannte Sicherheitstruppe zuständig sein könnte, ist unklar: Engelkes weist darauf hin, dass es derzeit noch gar keine rechtliche Legitimation dafür gebe, etwa ein Mandat vom UN-Sicherheitsrat. Berichten zufolge sollen sich Ägypten und Jordanien bereit erklärt haben, bis zu 5.000 palästinensische Sicherheitskräfte auszubilden. Israel hat eine Rückkehr der Palästinensische Autonomiebehörde (PA) oder ihrer Sicherheitskräfte nach Gaza bislang abgelehnt.

"Ich glaube, dass die arabischen Staaten bei einem möglichen Einsatzes eigener Truppen in Gaza sehr zurückhaltend sein werden", sagt Engelkes. Der Einsatz berge für die Länder das Risiko, "mit den Überbleibseln der Hamas oder israelischen Soldaten zusammenzustoßen. Und das könnte im schlimmsten Fall zu einer großflächigen Eskalation führen." Gleichzeitig drohe, dass Trumps Zukunftsplan ohne ein palästinensisches Mitspracherecht und die Legitimation von Palästinensern "als neue Besatzungskraft angesehen wird, was neue, bewaffnete Widerstände hervorrufen könnte."

Viel Spielraum bleibt der Hamas bei all dem nicht – international ist sie isoliert, selbst die engen Verbündeten Türkei und Katar unterstützen Trumps Plan; die wichtigste Finanzierungsquelle der Hamas, der Iran, ist selbst geschwächt und hält sich aus der öffentlichen Debatte über die Zukunft Gazas weitgehend heraus.

Schonfrist für die Hamas

Man kann es eine Schonfrist nennen, die der Hamas derzeit gegeben wird – solange der politische Überbau und die Sicherheitsarchitektur noch nicht vollständig geklärt und gegeben sind, wird sie weiterhin als "Hüterin der öffentlichen Ordnung" toleriert. 

Denn Trumps Vorstellung einer palästinensischen, technokratischen Übergangsregierung – unter Aufsicht eines international besetzten Komitees – ist genauso unklar wie der Entwaffnungsvorgang. Zwar gibt es im Westjordanland durchaus einige, die sich dafür positionieren – so befindet sich etwa der ehemalige palästinensische Außenminister Nasser al-Qudwa, der Neffe von Fatah-Gründer Jassir Arafat, nach Jahren im Exil wieder in Ramallah. Al-Qudwa, der zuletzt öffentlich mit dem israelischen Ministerpräsidenten Ehud Olmert für einen Waffenstillstand und eine Zwei-Staaten-Lösung plädierte, genießt vor allem in der westlichen Welt  Anerkennung. 

Jener Fatah-Politiker, der unter der palästinensischen Bevölkerung, den größten Rückhalt hat, Marwan Barghouti, sitzt seit über zwei Jahrzehnten in israelischer Haft.

Lkw mit humanitären Hilfsgütern am Grenzübergang zum Gazastreifen in Rafah,17. Oktober 2025.

Lkw mit humanitären Hilfsgütern am Grenzübergang zum Gazastreifen in Rafah,17. Oktober 2025.

Warnung vor Machtvakuum

Bevor eine Entwaffnung überhaupt möglich wäre, gibt Engelkes zu bedenken, "muss schon eine neue Sicherheitsarchitektur etabliert worden sein, sonst riskiert man ein Machtvakuum, das schnell von anderen radikalen Gruppierungen wie dem islamischen Dschihad und andere islamistische Gruppen genutzt würde." Engelkes sieht das sogar als größere Gefahr als ein Erstarken der Hamas.

Engelkes betont: "Wir befinden uns derzeit zwischen Waffenstillstand, einer militärischen Deeskalation und einem Ende des Krieges. Von einer politischen Lösung in Gaza sind wir noch weit entfernt."

Ein mögliches Zukunftsszenario ist natürlich auch, dass die Hamas, zurückgedrängt in den Untergrund, auf eine neue Gewaltspirale und Radikalisierung unter der jungen Bevölkerung im Gazastreifen setzt. Mehr als zwei Drittel der rund zwei Millionen Menschen in Gaza sind unter 30 Jahre alt. Wichtigste Präventionsmaßnahme: der Kampf gegen die humanitäre Katastrophe und die Einfuhr von humanitärer Hilfe. 60 Millionen Tonnen Trümmer hat die UN im Gazastreifen ausgemacht. Der Wiederaufbau ist ein Generationenprojekt für die ganze Welt.

Kommentare