Warum "Palästinas Nelson Mandela" weiter in Haft bleibt

PALESTINIAN-ISRAEL-CONFLICT
Rund 2.000 palästinensische Gefangene kamen im Austausch gegen die letzten Geiseln der Hamas frei. Eine besonders prominente Persönlichkeit der Fatah war nicht darunter.

250 palästinensische Gefangene, die eine lebenslange Haftstrafe verbüßen, und mehr als 1.700 Palästinenser, die nach dem Terroranschlag der Hamas am 7. Oktober 2023 inhaftiert wurden. Sie waren das Faustpfand für die Hamas-Geiseln, die am Montag freigelassen wurden. Zu Mittag verließen Busse mit palästinensischen Häftlingen das Ofer-Gefängnis im besetzten Westjordanland in Richtung Ramallah, wo Angehörige auf ihre Rückkehr warteten. Aufnahmen zeigen die Gefangene in den Bussen, jubelnd und mit den Fingern das Victory-Zeichen formend.

Die Stimmung vor dem Gefängnis war angespannt: Medienberichten zufolge warfen Palästinenser Steine auf die Autos der israelischen Streitkräfte; sie antworteten mit Rauchbomben.

Begrüßung der palästinensischen Freigelassenen in Ramallah.

Begrüßung der palästinensischen Freigelassenen in Ramallah.

Barghouti, "palästinensischer Nelson Mandela"

Eine von der Hamas geforderte Schlüsselfigur bleibt in Haft: Marwan Barghouti, Drahtzieher der Zweiten Intifada, der fünfmal lebenslänglich plus 40 Jahre verbüßt, nachdem er 2002 wegen der Planung von Anschlägen in einem umstrittenen Prozess verurteilt worden war. Fünf Zivilisten wurden dabei getötet. Barghouti argumentierte stets den bewaffneten Widerstand gegen die israelische Besatzung im Westjordanland, nicht aber gegen Zivilisten. Er gilt als Vertreter einer Zwei-Staaten-Lösung. Mehrfach hatte die Hamas Barghouti bereits auf die Liste gesetzt, doch Israels Regierung lehnte seine Freilassung kategorisch ab.

Barghouti gilt als einer der prominentesten Fatah-Führer im Westjordanland und stieg bis zum Generalsekretär auf. Bis heute genießt er große Beliebtheit unter den Palästinensern; im Westjordanland findet man Porträts von ihm auf den Hauswänden, gleich neben jenen des früheren PLO-Chefs Jassir Arafat. Der heute 66-Jährige genießt den Ruf eines charismatischen Politikers, der mit verschiedenen palästinensischen Fraktionen zusammenarbeitete. Einige nennen ihn deswegen sogar den "palästinensischen Nelson Mandela".

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Marwan Barghouti (links) auf einer Hauswand neben dem verstorbenen palästinensischen Führers Yasser Arafat (rechts), nahe Qalandiya zwischen Jerusalem und Ramallah.

2002 wurde Barghouti verhaftet, er bestritt stets die Vorwürfe und weigerte sich, die Legitimität des israelischen Gerichts, das ihn verurteilte, anzuerkennen. Zuletzt saß er in Einzelhaft; alle paar Jahre tauchen Fotos und Videos von ihm in Netz auf. Für seine Popularität verantwortlich ist auch seine Frau Fadwa Barghouti, die versucht, in der arabischen Welt Unterstützung für dessen Freilassung zu organisieren.

Eine Freilassung Barghoutis hätte nicht nur Gegnern der Netanjahu-Regierung in die Hände gespielt. Weil er als Konkurrent zum Präsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA), Mahmud Abbas, gesehen wird, dürfte auch die PA kein großes Interesse an seiner Freilassung haben. Seine Popularität könnte die Macht und zukünftige Rolle von Abbas und dessen Umfeld in einer Regierung Gazas untergraben.

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Fadwa Barghouti bei einer Demo für die Freilassung des Gefangenen Barghouti im Austausch gegen die Hamas-Geiseln am 19. August 2025 in Ramallah.

Ebenso nicht unter den Freigelassenen: Ahmad Sa'adat, Generalsekretär der Volksfront zur Befreiung Palästinas. Der 72-Jährige wurde 2008 zu 30 Jahren Haft verurteilt, nachdem er für schuldig befunden worden war, eine illegale Terrororganisation angeführt und an Angriffen beteiligt gewesen zu sein, darunter an der Ermordung des israelischen Ministers Rehavam Ze’evi im Jahr 2001.

Mitglieder von Hamas, Dschihad, Fatah und PFLP

Die Liste der befreiten Häftlinge umfasste Mitglieder der Hamas, des Palästinensischen Islamischen Dschihad, der Fatah und der Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP), die alle für Dutzende tödlicher Anschläge verantwortlich sind.

Von den 250 wegen Mordes oder Waffendelikten verurteilten Gefangenen sollen 154 abgeschoben werden, dürfen sich nicht in den palästinensischen Gebieten und in Israel aufhalten. Sie sollen nach Ägypten gebracht worden sein. Zuvor hieß es, Israel wolle diese Gruppe in Drittländer abschieben.

Zu den bemerkenswerten Freilassungen zählt Iyad Abu al-Rub, Kommandeur des Palästinensischen Islamischen Dschihad in Dschenin, verantwortlich für den Selbstmordanschlag auf dem "Shdei Trumot"-Markt im Juni 2003 und den Anschlag im "Stage"-Club in Tel Aviv im Februar 2004.

Begrüßung der palästinensischen Freigelassenen in Ramallah.

Begrüßung der palästinensischen Freigelassenen in Ramallah.

Muhammad Zakarneh war ein Fatah-Agent und an mehreren Morden beteiligt. Mahmoud Qawasmeh war ein hochrangiges Hamas-Mitglied, wurde 2011 bereits einmal im Austausch gegen den israelischen Soldaten Gilad Schalit freigelassen – bei dem auch der Hamas-Chef Jaja Sinwar freikam. Er wurde nach Gaza gebracht und später erneut verhaftet. Mahmoud Issa war ebenfalls Hamas-Mitglied und seit 1993 inhaftiert wegen Beteiligung an Entführung und Ermordung. Der palästinensische Polizist Raed Sheikh gilt als Hamas-nah; inhaftiert wurde er wegen seiner Beteiligung am Mord an einem IDF-Soldaten in Ramallah im Jahr 2002. Er war zu zweimal lebenslanger Haft verurteilt worden. Zakaria Zubeidi ist ehemaliger Kommandant der Al-Aqsa-Märtyrerbrigaden in Dschenin, war an Schießereien und einem Bombenanschlag beteiligt, bei dem im Jahr 2002 in einem Wahllokal sechs Menschen getötet wurden.

Bei dem von den USA unterstützten Geiselnahme- und Waffenstillstandsabkommen im Jänner hatte Israel über 1.900 palästinensische Sicherheitsgefangene im Tausch gegen 33 Geiseln freigelassen. Unter den Freigelassenen damals befanden sich über 700 Häftlinge, von denen viele lebenslange Haftstrafen wegen Mordes verbüßten, sowie über 1.000 Palästinenser aus Gaza, die wegen angeblicher Verbindungen zur Hamas seit dem 7. Oktober 2023 inhaftiert gewesen waren. 

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