Nach Thüringen-Krise: Machtwort aus Berlin
Ihre Auslandsreise durch Afrika hat sich Bundeskanzlerin Angela Merkel diese Woche vermutlich anders vorgestellt: Erneuerbare Energien und wirtschaftliche Zusammenarbeit – das sollte auf der Agenda stehen. Alles nach Merkels Geschmack, im Spätherbst ihrer Kanzlerschaft wollte sie sich weniger mit innenpolitischen Querelen beschäftigen, hört man.
Umso ärgerlicher muss ihr Blick aufs Handy gewesen sein. In Deutschland brannte am Mittwoch die Hütte: ein FDP-Politiker wurde im dritten Wahlgang durch Stimmen von AfD, CDU und FDP plötzlich zum Ministerpräsidenten gewählt.
Ein Aufschrei ging durch sämtliche Parteien, bundesweit kam es zu Protesten in mehreren Städten. Und plötzlich war der Freistaat Thüringen auch im Tausende von Kilometern entfernten Angola ein Begriff. Angela Merkel äußerte sich von dort aus für ihre Verhältnisse erstaunlich deutlich: Sie sprach von einem "unverzeihlichen Vorgang", der rückgängig gemacht werden muss.
Unter ihr wurde 2018 auch der "Unvereinbarkeitsbeschluss" durchgesetzt, der jede Zusammenarbeit mit der AfD ausschließt (auch mit der Linken). Eine CDU, die mit der AfD nur in irgendeiner Form zusammenarbeitet, wird es unter ihr nicht geben, so viel ist bekannt. Was auch damit zu tun hat, dass sie das Feindbild der Partei ist, vor allem in Ostdeutschland.
Innerhalb der CDU gibt es hier auch andere Sichtweisen: Nicht viele, aber einige lautstarke Leute sind zwar gegen ein Annähern an die Linkspartei, haben aber kein Problem, die Grenzen zur AfD aufzuweichen – nicht nur in Thüringen.
Große Koalition macht Druck
Dort zeigte sich die Woche, dass sich die Angelegenheit nicht so einfach bereinigen lässt. Der frisch gewählte FDP-Regierungschef Kemmerich sah zunächst keinerlei Bedarf, zu gehen. Sein Berliner Parteichef Christian Lindner anfangs ebenso wenig. Er distanzierte sich halbherzig von den Vorgängen, wodurch er für Ärger in der FDP und Bevölkerung sorgte. Er zog schließlich die Notbremse und überredete seinen Parteifreund zum Rücktritt.
Doch der SPD, dem Koalitionspartner der CDU im Bund, reichte das nicht. Man warf Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer Führungsschwäche vor. Tenor: Warum hatte sie keinen Einfluss auf die Thüringer Abgeordneten? Das Klima in der Großen Koalition war kurzzeitig angespannt. Besonders unangenehm für die CDU-Chefin: Sie rügte zwar später den Landesverband ("Gegen meine Empfehlung gehandelt"), offenbare damit, dass ihr das eingetretene Szenario bekannt war.
Die Krisenmanagerin
Kanzlerin Merkel tagte Samstag – zurück in Berlin – mit den Parteichefs zur Thüringen-Krise. Und es ging Schlag auf Schlag: Zuerst musste der Ost-Beauftragte der Bundesregierung und thüringische CDU-Vize, Christian Hirte, seinen Schreibtisch räumen, was er via Twitter verkündete. Er hatte am Mittwoch dem FDP-Mann gratuliert, dessen Wahl als "Kandidat der Mitte" zeige, dass die Thüringer Rot-Rot-Grün abgewählt haben. Was so nicht ganz stimmt. Abgewählt wurde er durch ein offenbar taktisches Manöver.
Neben Hirte musste auch Thomas Kemmerich seine kurze Amtszeit umgehend beenden, was dieser am Tag zuvor noch ausschloss. Laut SPD-Chef Norbert Walter-Borjans habe es dazu mit FDP-Chef Christian Lindner Kontakt gegeben. Seit der Thüringen-Sache hat seine FDP in aktuellen Umfragen bundesweit an Zustimmung verloren.
Wohl auch mit Blick auf die Liberalen verständigten sich die Parteichefs von CDU/CSU und SPD in einer gemeinsamen Erklärung, dass bei ihnen "auf allen Ebenen" Regierungsbildungen und politische Mehrheiten mit den Stimmen der AfD ausgeschlossen sind.
Weiter unklare Lage in Thüringen
Damit hat die Große Koalition in Berlin ein starkes Signal nach Thüringen geschickt, was dort nicht jedem gefällt. Von einer zweiten Forderung, nämlich Neuwahlen, will der CDU-Landesverband noch nichts wissen. Dafür wäre eine Zweidrittel-Mehrheit im Landtag notwendig. Man wolle sich nichts von Berlin vorschreiben lassen, fürchtet vor allem schwere Verluste und infolge arbeitslose Abgeordnete. Gleichzeitig würde ein neuerlicher Wahlkampf die finanziellen Mittel erschöpfen, heißt es.
Die Kanzlerin kann ein langes Hin- und her jedenfalls nicht gebrauchen: Ab Juli übernimmt Deutschland den EU-Ratsvorsitz für ein halbes Jahr, da sollte ihre Regierung in ruhigem Fahrwasser bleiben. Merkel, so hört man, will diese Phase in ihrer letzten Amtszeit noch einmal nutzen. Dazu kommen weltpolitische Ereignisse wie die US-Wahl, die für das Land nicht unwichtig sind.
Vorgeschichte:
Bodo Ramelow (Die Linke) stellte sich zur Wiederwahl als Ministerpräsident in Thüringen. Im Gepäck: eine rot-rot-grüne Minderheitsegierung.
Mittwoch, 5.2.
Ramelow und ein Kandidat der AfD traten gegeneinander an. Im 3. Wahlgang wurde Thomas Kemmerich aufgestellt, dessen FDP bei der Wahl nur fünf Prozent erreicht hatte. Er erhielt 45 Stimmen – auch von CDU und AfD. Ramelow 44, der AfD-Kandidat bekam null Stimmen. Die Empörung war groß.
Donnerstag, 6.2.
Die FDP kündigte einen Antrag auf Auflösung des Landtags an. Kemmerich seinen Rücktritt – er blieb zunächst aber im Amt.
Samstag, 8.2.
Kemmerich tritt nun doch sofort zurück. Die Bundesregierung spricht sich für Neuwahlen aus. Darüber muss der Landtag mit Zweidrittel-Mehrheit entscheiden.
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