Kosovo: So leben die Menschen in der geteilten Stadt Mitrovica
In Mitrovica wehen viele verschiedene Flaggen. Der Norden ist mehrheitlich serbisch besiedelt, der Süden albanisch. Im einen Teil läuten Kirchenglocken, die Menschen zahlen in Dinar. Im anderen ruft der Muezzin, Währung ist der Euro.
Dazwischen fließt der Fluss Ibar, über ihn führt eine Brücke. Sie ist immer wieder Schauplatz von Gewalt – zuletzt kurz vor Neujahr, als die dauerhaft angespannte Beziehung zwischen dem Kosovo und Serbien eine neue Eskalationsstufe erreichte. Berichte über Schüsse und täglich neue Straßenbarrikaden gingen um die Welt.
Traurige Gewohnheit
Sechs Wochen später ist es dort wieder ruhig. Nur ein paar italienische Carabinieri-Soldaten (KFOR-Truppen) bewachen die Brücke. Sie wirken gelangweilt, gelegentlich steigen sie aus ihren Autos und streicheln Straßenhunde.
Wann immer sich die Lage verschärft, verdienen die Eltern von Ardit Tahiri gutes Geld. Die Hotels in ganz Mitrovica sind dann von Journalisten ausgebucht – so auch jenes der Tahiris im Süden, fünf Gehminuten von der Brücke. Der 23-jährige Ardit ist hier großgeworden. Die Unruhen kümmern ihn kaum, sagt der Marketing-Student, „ich kenne es schließlich nicht anders“.
Politik sei ihm egal. Mehr Gedanken macht er sich um seine Zukunft. Die sieht er – wie viele andere – nicht in Mitrovica: „Du kannst hier Fast Food servieren, Taxi fahren oder Bärte schneiden“, fasst er die Karrieremöglichkeiten in seinem Heimatort schulterzuckend zusammen. „Wer etwas mit seinem Leben anfangen will, zieht nach Pristina. Oder ins Ausland.“
Ärmste Stadt des Kosovo
Er und die anderen, die noch da sind, stecken fest, sagt er. Ein Grund dafür ist, dass man für jede Reise in die EU ein Visum braucht, doch auch das Geld zum Weggehen fehle. Mitrovica ist die ärmste Stadt des Kosovo, 150 Euro pro Monat verdienen manche hier, in besseren Berufen gerade mal 350.
Dass sie sich bei Mietpreisen ab 100 Euro andere Einnahmequellen suchen, wundert kaum: Sie haben Zweitjobs, bekommen Geld von Verwandten im Ausland oder driften in die Kriminalität ab.
Im Norden liegen die Einkommen etwas höher als im Süden, dort herrschen serbische Standards. Dass auch hier kriminelle Gruppen aktiv sind, zeigen die fehlenden Autokennzeichen: Serbien gibt nach Streitereien keine Nummernschilder für den Kosovo mehr aus. Diebe stehlen die alten darum jetzt – und verkaufen sie teuer an die Besitzer zurück.
Gefahren für Opposition
Aleksandar Arsenijević fährt mit kosovarischem Kennzeichen, obwohl er Serbe ist – wegen Terminen in Pristina. Vor ein paar Jahren wurde er Oppositionspolitiker im serbischen Stadtteil, der überwiegend von Belgrad gesteuert ist.
Es dauerte nicht lang, bis er seine Position als Chemie-Lehrer an einer Schule verlor. Heute besitzt er ein Café im Norden – zu seiner eigenen Sicherheit ist es kameraüberwacht. Inmitten des Lokals hängt eine riesige Serbien-Flagge.
Er teilt zwar die Meinung des serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić, dass die Serben im Kosovo diskriminiert werden, fordert wie er einen autonomen Verbund kosovo-serbischer Gemeinden. Dennoch hält er nicht viel von Vučić selbst: „Seine Kosovo-Politik hat kein Ziel.“
Mit bestimmter, aber unaufgeregter Stimme kritisiert er, dass Kosovo-Serben in keinerlei Verhandlungen miteinbezogen werden. „Alle politischen Seiten verwenden die Serben im Kosovo nur als Währung für ihre politischen Transaktionen“, sagt er.
Wer mit den Menschen in Mitrovica spricht, bekommt Aussagen wie diese öfter zu hören. Im Norden wie im Süden haben Leute das Gefühl, dass es beim Tauziehen der Regierungen in Belgrad und Pristina in Wahrheit nicht um sie geht.
Verbindendes
Doch Serben und Albaner im Kosovo verbindet in Wahrheit mehr, als man auf den ersten Blick glauben könnte. So gibt es in Mitrovica Nachbarschaften, in denen beide Ethnien leben und gemeinsam wirtschaften. Weniger erfreulich, aber auch eine Gemeinsamkeit: Serbische und albanische Kriminelle arbeiten seit jeher eng zusammen.
Zwar gibt es nach 15 Jahren Unabhängigkeit in Mitrovica noch immer viele, die die andere Seite des Flusses meiden – zu schmerzhaft sind die Erinnerungen an den Kosovo-Krieg, der erst 1999 endete.
Doch mittlerweile ist auch eine neue Generation herangewachsen. NGOs, in denen Albaner und Serben arbeiten, wollen die Jungen zusammenbringen. Sie organisieren gemeinsame Kaffee-Festivals und Konzerte. Auch eine Uni, an der beide Ethnien studieren, gibt es.
Einer ihrer Studenten ist Hotelierssohn Ardit. Anfangs war es für ihn ungewohnt, mit Serben zu studieren. Nach sechs Semestern hat er unter ihnen viele gute Freunde. Über einigen Familien in Mitrovica liege eine Art „Generationenfluch“, so der junge Mann. Er aber wolle nach vorne schauen: „Ich wurde nach dem Krieg geboren. Und so sehr ich die Traumata der Älteren verstehe, will ich doch einfach nur frei sein.“
Bevölkerung: Knapp zwei Millionen Menschen, davon überwiegend ethnische Albaner, leben in der einstigen serbischen Provinz, die etwa so groß wie Oberösterreich ist. Im serbischen Nordteil der geteilten Stadt Mitrovica sind es 30.000, im albanischen Süden 71.000.
NATO-Schutz: Nach dem Krieg 1999 verwaltete die UNO das Gebiet, NATO-geführte KFOR-Truppen sorgen für Sicherheit.
Unabhängigkeit: Am 17. Februar 2008 erklärte der Kosovo sich für unabhängig. Serbien erkennt das nicht an. Unterstützt wird es von China und Russland, ebenso wie die EU-Länder Türkei, Spanien, Zypern, Griechenland und Slowakei.
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