Serbien erkennt unsere Unabhängigkeit nicht an, hat speziell im Norden des Kosovo illegale Strukturen zu verantworten und untergräbt damit unsere Stabilität. Das hat Serbien seit 2008 bereits Hunderte Millionen Euro gekostet. Der Konflikt basiert aber nicht auf ethnischen Grundlagen. Er findet nicht zwischen Albanern und Serben statt, sondern zwischen dem Kosovo und Serbien. Die Mehrheit der Serben erkennt uns an. Ich habe sogar einen serbischen Minister in meiner Regierung.
Serbiens Präsident Aleksandar Vučić bezeichnete Sie unlängst als „Abschaum“. Sie kennen einander aus Kriegszeiten – 1999 wurden Sie während des Kosovokriegs zum serbischen Polithäftling. Können zwei Politiker mit so einem Umgang und dieser Geschichte einer Lösung näherkommen?
Ich kenne die Äußerungen, mit denen er mich beleidigt. Über seine Haltung und Denkweise weiß ich Bescheid, nicht aber über seinen Bildungsstand. Die serbisch-kosovarische Beziehung muss mit einem Abkommen normalisiert werden. In dessen Mittelpunkt hat eine gegenseitige Anerkennung zu stehen. Ein solcher Vertrag würde Frieden in die gesamte Region bringen. Gleichzeitig würde er den EU-Beitrittsprozess aller sechs Balkanstaaten antreiben. Das könnte der EU dabei helfen, zu Europa zu werden.
Aber kann das mit Ihnen beiden als Protagonisten gelingen, oder braucht es dazu neue Akteure, die möglicherweise besser miteinander zurechtkommen?
Ich für meinen Teil bin bereit, interessiert und fähig, Gespräche über ein Abkommen zu führen. Von Belgrad kann ich das nicht behaupten. Viel hängt auch von den Vermittlern EU und USA ab.
Halten Sie eine Versöhnung nach dem Krieg und den darin passierten Verbrechen überhaupt für möglich?
Versöhnung ist immer möglich. Dafür braucht es aber die Aufarbeitung der Vergangenheit. Intellektuelle und Beamte in Serbien sollten Verantwortung übernehmen und den Leuten erklären, was in ihrem Namen passiert ist.
Was tun Sie denn konkret, um Frieden zu schließen?
Wir reden so viel wie möglich mit den Serben – auch auf Serbisch, nicht nur Albanisch. Ich versuche, sie so gut wie möglich in alle demokratischen und sozioökonomischen Prozesse unseres Landes zu integrieren. Meine Politik diskriminiert niemanden, auch nicht die serbische Bevölkerung.
Wie kann Österreich bei der Versöhnung helfen?
Wir nehmen Österreich als Freund und Partner wahr und sind angetan von bekannten Politikern, die dem Kosovo geholfen haben – Franz Vranitzky etwa, oder Alois Mock. Kanzler Nehammer hat mir Unterstützung beim EU-Beitritt zugesichert. Österreich wird versuchen, die anderen EU-Länder – besonders jene, die uns nicht anerkennen – zu überzeugen. Wir hoffen außerdem, dass mehr österreichische Unternehmen sich im Kosovo ansiedeln. Derzeit wandern Hunderte österreichische Unternehmen aus Russland ab – wir wären eine gute Alternative.
Warum sollten österreichische Unternehmen das wollen?
Wir haben eine sehr junge Bevölkerung, das Durchschnittsalter liegt bei 31 Jahren. Die Leute sprechen gutes Englisch, viele auch Deutsch. Täglich gibt es Flüge zwischen Wien und Pristina. Dass wir gut miteinander auskommen, zeigt auch die gut integrierte kosovarische Diaspora in Österreich.
Kommendes Jahr soll auch die von kosovarischer Seite lang ersehnte Visa-Liberalisierung umgesetzt werden. Wie wollen Sie die Abwanderung aus Ihrem Land aufhalten?
Die Leute gehen schon jetzt, und ich glaube nicht, dass es mit der Liberalisierung so viel mehr werden. Meine Vermutung: Wenn es einfach geht, wollen sie es nicht mehr so sehr. Die Umsetzung dieser Forderung wird große Vorteile für Studenten und Geschäftsleute bringen, die dann nicht mehr auf das Reisen warten müssen.
Sie haben den EU-Beitritt bereits angesprochen, für den Sie im Dezember 2022 einen Antrag gestellt haben. Aber ist der Kosovo wirklich bereit? Schließlich ist er nach wie vor vom Schutz der NATO abhängig, um überhaupt überleben zu können.
Das Verteidigungsbudget meines Landes ist unter mir als Premier enorm gestiegen. Wir werden die NATO-Kriterien erfüllen und wollen ihr sowie der EU beitreten. Bis es so weit ist, wird es noch dauern. Seit der russischen Invasion in der Ukraine habe ich aber den Eindruck, dass Politiker und Diplomaten in Europa anders denken. Sie sind dazu bereit, gewisse Prozesse zu erleichtern – auch jenen des EU-Beitritts.
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