Vučić und der Kosovo: Die Schicksalsfrage auf dem Balkan

Vučić und der Kosovo: Die Schicksalsfrage auf dem Balkan
Seit bald 15 Jahren ist der Status des Kosovo umstritten - warum der serbische Präsident jetzt eine De-facto-Anerkennung angedeutet hat.

Aleksandar Vučić ist bekannt für seine dramatischen Wendungen. Am Montagabend hat der serbische Präsident erneut eine vollzogen – in einer Frage, zu der er eigentlich immer eine eindeutige Meinung hatte. Live im Fernsehen deutete er an, den Kosovo de facto anerkennen zu wollen.

Dabei hatte er sich doch seine ganze politische Karriere über bemüht, die einstige serbische Provinz – 2008 erklärte sie sich für unabhängig – im eigenen Land zu einem unverzichtbaren Herzstück des nationalen Stolzes zu stilisieren. Mithilfe der unter seiner Kontrolle stehenden Medien machte er den Kosovo zu einer Schicksalsfrage besonders jener, die den großserbischen Traum auch mehr als 20 Jahre nach Ende der Jugoslawienkriege noch nicht aufgeben wollen.

Warum also jetzt dieser öffentliche Umschwung?

Westliche Unterhändler hätten ihn vor die Wahl gestellt, so Vučić in seiner Ansprache. Sie hätten damit gedroht, die EU-Beitrittsverhandlungen seines Landes genauso zu blockieren wie ausländische Investitionen, sollte er ihrem Plan nicht zustimmen.

Was auf dem Tisch liegt

Der Plan, das ist ein deutsch-französisches Papier, das im Herbst vergangenen Jahres bekannt wurde. Es sieht vor, dass Serbien und der Kosovo einander zwar nicht offiziell anerkennen, ihre staatliche Existenz aber gegenseitig akzeptieren. Das würde vor allem bedeuten, dass Serbien den Kosovo nicht mehr wie bisher in internationalen Organisationen blockiert – ganz besonders geht es dem Kosovo um die UN-Mitgliedschaft sowie den NATO-Beitritt.

„Der westliche Druck auf Vučić ist bereits in den letzten Monaten deutlich gestiegen“, erklärte Südosteuropa-Experte Vedran Džihić vom Österreichischen Institut für Internationale Politik dem KURIER. Vertreter der EU und der USA hatten sich demnach bereits den Sanktus aller europäischer Staaten für den Plan geholt, bevor sie ihn Vučić letzte Woche vorlegten: „Die sind nach Belgrad gefahren und haben ihm gesagt, dass alle 27 Mitgliedsländer keine Spielchen mehr wollen“, so Džihić. Und Vučić wisse genau, dass die EU für die Entwicklung seines Landes entscheidend sei.

Dazu kommt, dass die Situation im mehrheitlich serbisch besiedelten Norden des Kosovo in letzter Zeit mehrmals kurz vor der Eskalation stand – auch wegen Vučićs „kriegstreiberischer“ Rhetorik“, meint der Experte. Dieser Umstand ist ihm zufolge auch einer der Gründe, warum EU und USA zuletzt so sehr um eine Einigung bemüht waren: „Sie wollten nicht riskieren, dass in einer Zeit des Ukraine-Krieges eine neue Konflikt- und Krisenflanke am Westbalkan aufgemacht wird.“

Die Rolle Russlands

Doch auch Russland dürfte – wie so oft, wenn es um Serbien geht – eine Rolle gespielt haben. Das westliche Interesse, Russlands Einfluss in der Region zu verringern, habe sich ebenfalls verstärkt, so Džihić. Serbien ist nach wie vor das einzige Land in Europa, das seit dem Krieg in der Ukraine keine Sanktionen gegen Russland verhängt hat. Dessen Präsident Wladimir Putin ist bei einem Großteil der serbischen Bevölkerung sehr beliebt, Russland fester Bestandteil der serbischen Öffentlichkeit. Der Kosovo ist ein Grund für diese guten Beziehungen, denn Russland blockiert dessen Aufnahme in die UNO – zusammen mit China – im UN-Sicherheitsrat.

"Eine erste kleine Schlacht"

Für einen Sieg des Westens hält Džihić Vučićs Worte vom Montag aber trotz allem nicht, dafür sei es zu früh: „Das ist eine erste kleine Schlacht“, sagt er. Einerseits spiele Vučić auf Zeit – er sprach etwa von einer möglichen Volksabstimmung – und andererseits habe Pristina sich noch nicht bewegt. Denn auch vom Kosovo erwartet der deutsch-französische Plan Zugeständnisse, allen voran die Autonomie seiner serbischen Gemeinden. Die lehnte der kosovarische Premier Albin Kurti jedoch stets ab, weil er eine ethnische Spaltung wie in Bosnien fürchtet.

Für einen echten Durchbruch sind laut Džihić zwei Fragen entscheidend: Wird der Druck des Westens anhalten? Und wird Kurti einlenken? „Kommen diese beiden Dinge zusammen, muss Vučić sich weiter bewegen“, glaubt der Experte. Bis es so weit ist, könne es aber noch Monate, vielleicht Jahre dauern

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