Macht und Milliarden: EU-Parlament bleibt Dorado für Lobbyisten
Daran ändern auch Corona-Einschränkungen nichts: In den nächsten Monaten werden Lobbyisten den EU-Institutionen in Brüssel mehr denn je die Türen einrennen. Wenn Corona-Hilfsmilliarden verteilt werden, versucht jede Branche möglichst zum Zug zu kommen.
Die 705 Abgeordneten des EU-Parlaments zu treffen gehört dabei zu den wichtigsten Aufgaben. Diese sind seit einem Jahr angehalten, ihre Treffen mit Lobbyisten öffentlich zu machen. So soll der Eindruck verhindert werden, geheime Gespräche würden hinter verschlossenen Türen geführt, wo Lobbyisten ihre Gesprächspartner "einkochen". 8.300 Treffen wurden demnach veröffentlicht, aber tatsächlich waren es viel mehr. Denn nur ein gutes Drittel der EU-Mandatare legte seine Termine offen.
Sehr enttäuschend sei das, sagt Vitor Teixeira von Transparency International EU zum KURIER. "Unsere gewählten Mandatare reden immer von mehr öffentlicher Teilnahme. Aber das ist einfach unmöglich, wenn Bürger im Dunkeln darüber gelassen werden, wer Entscheidungen beeinflusst, die Millionen Menschen betreffen."
Parlamentarier und Kommissare zu treffen – dabei geht es um Einfluss, um Macht, Milliarden und Meinungsmache. Für die höchstrangigen Mitglieder der EU-Kommission ist es seit einigen Jahren Pflicht: Wer Lobbyisten trifft, muss dies veröffentlichen. An die 12.000 Unternehmen, Verbände und Interessensgruppen, die Lobbyarbeit betreiben, sind in Brüssel registriert. Mit insgesamt rund 35.000 Mitarbeitern geben sie pro Jahr rund 1,5 Milliarden aus.
Anders ist dies im Parlament: Dort müssen nur Ausschussvorsitzende, Berichterstatter und Schattenberichterstatter ihren Terminkalender offenlegen.
Was für Österreichs 19 EU-Abgeordnete bedeutet: Als Ausschussvorsitzende für Frauenrechte und Geschlechtergleichstellung hat Evelyn Regner (SP) ihre Treffen publik gemacht. Insgesamt veröffentlichten die SP-Abgeordneten 80 Prozent ihrer Treffen (sie sollen demnächst vervollständigt werden). Die Grünen kamen auf 66 Prozent, Neos-Abgeordnete Claudia Gamon legte alle ihre Treffen mit Lobbyisten offen.
Null Veröffentlichungen gab es hingegen bei den Mandataren der FPÖ und der ÖVP. "Die ÖVP-Delegation befolgt alle Vorschriften zur Veröffentlichung von Treffen mit Interessensvertretern auf Punkt und Beistrich. Derzeit gibt es auf der Homepage noch keine Veröffentlichung, weil es in dieser Legislaturperiode noch keine meldepflichtigen Termine gab.", heißt es dazu von Seiten der ÖVP.
Google hatte 232 Treffen
"Ein System, das auf Freiwilligkeit beruht, funktioniert eben nicht vollständig", gibt Anti-Korruptionsexperte Vitor Teixeira zu bedenken. Dabei wurde mit dem freiwilligen EU-Transparenzregister schon ein großer Schritt gesetzt: Die 12.000 Lobbyorganisation verpflichten sich zu einem Verhaltenskodex und geben an, wie viele Mitarbeiter und Mittel sie für ihre Ziele einsetzen.
In Brüssel ist der größte Player der Europaverband der chemischen Industrie (Cefic): Er gab im Vorjahr 10,5 Millionen Euro für Lobbyarbeit aus. Das größte einzelne Unternehmen, das in seiner Sache lobbyiert, ist Google (acht Millionen, 232 Treffen mit EU-Institutionen); gefolgt von Microsoft (5 Mio.) und facebook (4,5 Mio).
Zum Vergleich: Der Europäische Verbraucherverband BEUC wandte 2,5 Millionen Euro auf und absolvierte 126 Treffen; bei Greenpeace waren es 618.000 Euro und 97 Treffen.
Am wenigsten transparent seien die Treffen zwischen Lobbyisten und den EU-Mitgliedsstaaten, sagt Vito Teixeira. "Das ist wie eine Black Box, da weiß man gar nichts. Wen und wann haben die Botschafter der Staaten hier in Brüssel getroffen? Für sie gibt es keine Veröffentlichungspflicht."
Dabei haben die Regierungen der EU-Staaten über den Rat erhebliche Möglichkeiten, die Interessen ihre heimischen Industrie durchzuboxen. So etwa stemmt sich Deutschland gegen eine Digitalsteuer für die Internetgiganten wie facebook und Co. Der Hintergrund: Furcht der heimischen Exportindustrie vor Sanktionen der USA.
Was die Anti-Korruptionskämpfer besonders ärgert: Nicht registrierte Lobbyisten können weiter jederzeit Parlamentarier treffen. "Dann wissen die Abgeordneten oft gar nicht, wer wirklich hinter diesen Lobbyisten steht", warnt Teixeira.
Den EU-Kommissaren ist dies mittlerweile verboten. Doch die Mehrheit der EU-Abgeordneten wehrt sich gegen ein Verbot: Man beharre auf der "Freiheit des Mandates".
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