Lukaschenko lenkt ein, doch er fällt nicht um
„Sie haben mit schrecklicher Brutalität zugeschlagen“, schildert eine freigelassene Demonstrantin einem regierungskritischen Onlineportal. „Überall war viel Blut.“ Unter Tränen erzählt sie, sie sei geschlagen worden. Mehr als 2.000 Menschen in Weißrussland (Belarus) wurden am Freitag wieder freigelassen, nachdem sie bei Demonstrationen gegen Präsident Alexander Lukaschenko, den Wahlausgang am Sonntag sowie die ausufernde Polizeigewalt festgenommen worden waren.
Unschuldige gefangen
Viele von ihnen zeigten Platzwunden und Blessuren. In Videos ist zu sehen, wie Polizisten brutal auf Demonstranten einschlugen. „Sie haben mir sehr stark auf den Kopf geschlagen. Mein Rücken ist mit blauen Flecken übersät von Schlägen mit dem Schlagstock“, sagte der 25-jährige Maxim Dowjenko.
Nach eigenen Worten wurde er festgenommen, obwohl er gar nicht an den Demonstrationen teilgenommen hatte, sondern nur zufällig in der Nähe war.
Dennoch scheint es, als habe die Regierung in Minsk eingelenkt – der Innenminister entschuldigte sich für „Festnahmen Unschuldiger“: „Als Kommandierender möchte ich die Verantwortung übernehmen und mich ehrlich auf menschliche Weise entschuldigen bei diesen Menschen“, sagte er. Zugleich streikten Menschen im ganzen Land. In zahlreichen Betrieben legten Arbeiter ihre Arbeit nieder, gingen in Arbeitskleidung auf die Straße und protestierten gegen die Regierung. „Geh weg“, skandierten Hunderte Elektrotechniker bei einem Marsch, Informatiker bildeten eine lange Menschenkette entlang der Straße.
„Wozu zurücktreten?“
Lukaschenko selbst meldete sich am Freitag zu Wort: Fürs Erste sei er noch am Leben und nicht im Ausland. Fällt nun das 26 Jahre währende Regime des sogenannten „letzten Diktators Europas“? „Warum sollte er zurücktreten?“, beantwortete der staatsnahe Soziologe Sergej Mussijenko die Frage.
Anders sieht das die Opposition, die vor allem mit der nach Litauen geflüchteten Präsidentschaftskandidatin Swetlana Tichanowskaja ein Gesicht hat: „Die Weißrussen wollen nie mehr unter den gegenwärtigen Machthabern leben“, sagte sie in einer Videobotschaft und beharrte darauf, bei der Wahl am Sonntag zwischen 60 und 70 Prozent der Stimmen erhalten zu haben. Quellen, die das seriös belegen, gibt es freilich nicht – ebenso wenig, wie die 80 Prozent Lukaschenkos glaubhaft sind.
Dass die weißrussische Regierung Proteste nach Wahlen niederschlagen ließ, ist nichts Neues – 2001, 2006 und 2010 ging die Polizei gewaltsam vor. Eine solche breite Protestbewegung wie seit vergangenem Sonntag hat es allerdings noch nicht gegeben.
Vonseiten der EU wird der Ruf nach neuen Sanktionen gegen Lukaschenko immer lauter. Nach der Wahl 2010 kamen diese tatsächlich, ein Zitat des damaligen deutschen Außenministers Guido Westerwelle erinnert frappant an die derzeitigen Zustände: „Wer Wahlen manipuliert und massenhaft Menschen einsperrt, die von ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit Gebrauch machen wollen, ist kein Wertepartner für die Europäische Union.“
Am Freitagnachmittag berieten die EU-Außenminister über mögliche Schritte.
Kommentare