Einige Kämpfer hätten sich in einer Schule verschanzt – sie seien gerade besiegt worden. Die Schule ist ein Trümmerhaufen: Das Dach ist weg, die Mauern teilweise eingestürzt. An den verrußten Wänden sind Einschusslöcher, Krater von Panzerfäusten zu sehen. Die Leichen russischer Soldaten liegen im Schutt davor, wenige Meter weiter haben die ukrainischen Einheiten einen Gefangenen gemacht. Er blickt aus leeren Augen nach vorn, reagiert auf kein Wort seiner Feinde.
Was jetzt mit ihm geschehen wird? „Wir werden ihn einsperren. Hoffentlich sehr lange“, sagt einer der Milizionäre mit hasserfüllter Stimme. Auch reguläre Soldaten sind vor Ort, einer regelt den Verkehr. Autos wollen die Straße weiter entlangfahren, die teilweise von den Wracks blockiert ist. Eine junge Frau spaziert mit ihrem Hund an den ausgebrannten Gefechtsfahrzeugen vorbei. Ein Mann fährt mit seinem Rad, 300 Meter weiter stehen Menschen vor einem Supermarkt an. Bis 15 Uhr ist es erlaubt, hinauszugehen, danach herrscht wieder eine strikte Ausgangssperre.
Die Armee rechnet mit weiteren Bodenangriffen – für die Zivilbevölkerung lauert die größte Gefahr jedoch in der Luft: Immer häufiger bombardiert die russische Armee Wohngebäude. Am Montag anscheinend mit sogenannten Clusterbomben -– viele kleine Bomben in einer Bombe, die ursprünglich dafür gedacht ist, Soldaten hinter Stellungen zu treffen. Doch am Montag schlugen sie in einer Wohnsiedlung in zivilem Gebiet ein. Laut Charkiwer Behörden gibt es viele Tote und Verletzte. Kampfjets donnerten über die Stadt, unterstreichen damit die russische Luftüberlegenheit.
Das ständige Bangen macht sich auch bei den Menschen im Hotelkeller bemerkbar: Meist blicken sie vorgebeugt und schweigend auf ihre Smartphones, verfolgen die Berichterstattung über die Waffenstillstandsverhandlungen. Nur die 16 Jahre alte Katia scheint aufgeweckt, bietet Kaffee und Tee an, spricht den Menschen Mut zu. Auf den Billardtisch hat sie eine große Schüssel Süßigkeiten für die Kinder gestellt, mit einem Tuch verdeckt. „Nicht, dass sie wissen, woher ich die Süßigkeiten für sie nehme und dann alles plündern“, lächelt sie.
Noch scheint die Lebensmittelversorgung zu funktionieren: Herrscht keine Ausgangssperre, liefern Fahrer frische Lebensmittel an Geschäfte und Hotels. „Helden“, nennt Liana sie, während sie sich ein frisches Brot streicht. Ihre Bewegungen wirken fahrig, sie zittert leicht. Nervös sucht sie in einer Schatulle nach Beruhigungstabletten, legt sich auf das Sofa und schläft bald ein.
Im Raucherzimmer sitzt Olek, ein junger Mann mit stechendem Blick, sieht sich auf seinem Telegram-Kanal Erfolgsmeldungen der ukrainischen Streitkräfte an. Stolz zeigt er jedem eine Fotomontage: Der Spartanerkönig Leonidas aus dem Film „300“ in ukrainischer Uniform. „This is Kharkiv“, steht darunter. Ob er glaubt, dass die ukrainischen Streitkräfte tatsächlich gewinnen können? „Natürlich! Die Russen ergeben sich reihenweise und kommen nicht voran. Wir sind stark!“
Von draußen sind wieder das Donnern der Artillerie und das Heulen der Sirenen zu hören.
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