KURIER vor Ort: Überlebenskampf in der Frontstadt Charkiw

KURIER vor Ort: Überlebenskampf in der Frontstadt Charkiw
Die Bombardements auf die 1,5-Millionen-Stadt werden immer heftiger und häufiger. Und die Versorgung wird Tag für Tag knapper. Der KURIER war bei den Menschen vor Ort.

Die alte Frau auf der Stiege blickt geistesabwesend auf den U-Bahnsteig. Dort, wo noch vor wenigen Tagen Menschen zur Arbeit, zum Ausgehen, zum Einkaufen gefahren sind, drängen sich die Bewohner von Charkiw dicht an dicht, verbringen Nacht und Tag, um vor den Raketen geschützt zu sein, die mittlerweile stündlich in der Stadt einschlagen.

Die Menschen nutzen jeden Quadratmeter: In den Waggons, neben und zwischen den Säulen – nur in der Mitte bleibt ein schmaler Korridor, damit jeder durchkann, der Proviant besorgen oder eine Zigarette rauchen will. Nachbarn, Freundeskreise, Familien liegen eng beieinander, sprechen leise. Andere lesen auf ihren Mobiltelefonen die neuesten Nachrichten oder telefonieren mit Verwandten und Freunden.

Trost und Sicherheit

Babys liegen in Kindersitzen, manch eines schreit, Kleinkinder spielen so gut es geht auf Kuscheldecken mit Bausteinen. Ein junger Mann nimmt seine weinende Freundin in den Arm, streichelt ihr Haar und flüstert ihr Mut zu. „Nicht auf den Bahngleisen spielen! Nicht auf den Bahngleisen spielen!“, dröhnt die Stimme der Stationsaufseherin durch die Halle.

Zwei junge Polizisten gehen durch den Korridor, sorgen für ein Maß an Ordnung – was nicht notwendig zu sein scheint, den Menschen jedoch ein gutes Gefühl gibt.

„Hier bin ich sicher“, sagt Tania. Sie wohnt in einem der Häuser, vor denen am Freitag eine russische Rakete einschlug – und nicht detonierte. „Wäre sie explodiert, wäre vielleicht das ganze Haus zerstört worden. Ich musste weg“, sagt sie. Der Schrecken steht ihr ins Gesicht geschrieben, ihre schmalen Wangen sind aschfahl. Auf ihren Beinen ruht ihr Laptop: „Ich bearbeite Fotos für eine Immobilienfirma. Das kann man zum Glück überall machen, auch hier“, sagt sie.

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