Ukraine-Krieg: Laut Bürgermeister Klitschko ist Kiew noch nicht umzingelt

Ukraine-Krieg: Laut Bürgermeister Klitschko ist Kiew noch nicht umzingelt
Die ukrainische Hauptstadt ist komplett eingekesselt - die Belagerung dürfte beginnen. So zeigt sich die Lage in der Ukraine.
  • Russisches Militär ist Sonntagmorgen bis ins Stadtzentrum von Charkiw vorgedrungen. Laut eigenen Angaben kontrollieren die ukrainischen Streitkräfte die Stadt mittlerweile aber wieder.
  • In Kiew werden weitere ukrainische Truppen zur Verteidigung der symbolisch wichtigen Hauptstadt zusammengezogen. Bürgermeister Klitschko sagt, die Stadt sei aber nicht eingekesselt - zuvor gab es eine Falschmeldung der Agentur AP, dass die Stadt umzingelt sei
  • Die ukrainischen Truppen in Cherson und Berdjansk sind von Russen eingekesselt
  • Unbestätigten Berichten zufolge schaltete die ukrainische Armee auch ein tschetschenisches Sonderkommando aus
Ukraine-Krieg: Laut Bürgermeister Klitschko ist Kiew noch nicht umzingelt

Vier Tage nach Beginn des russischen Angriffskriegs sind die russischen Truppen rund um die Hauptstadt Kiew positioniert. Wie der Kiewer Bürgermeister Witali Klitschko in einem Interview mit Bild sagte, habe es Falschinformationen gegeben, wonach er behauptet habe, die Stadt sei umstellt - das stimme aber nicht. „Kiew ist nicht komplett eingekesselt. Die ukrainische Armee kämpft hart in den Außenbezirken, und die russische Armee hat viele Verluste“, sagte er. Die Agentur AP hatte ihn zitiert und berichtet, Kiew sei am beginn einer Belagerung.

Am Abend wurde in Kiew erneut Luftalarm ausgelöst. In der Stadt gilt eine nächtliche Ausgangssperre von 17 bis 7 Uhr. In dieser Zeit seien etwa Fahrten mit dem eigenen Auto nur mit einer Sondergenehmigung möglich. An einigen Orten der Stadt gebe es Schusswechsel, schrieb Klitschko. Er appellierte zugleich an die Bewohner: „Gehen Sie in den erlaubten Zeiten auch nur dann in die Stadt, wenn es unbedingt nötig ist - zum Laden, zur Apotheke.“ Zudem sollten die Kiewer ältere und alleinstehende Menschen unterstützen.

Charkiw zurückerobert

Sonntagfrüh war es russischen Soldaten gelungen, ins Zentrum der Millionenstadt Charkiw im Nordosten des Landes einzudringen. Die Bewohner der Stadt wurden aufgerufen, in ihren Häusern zu bleiben.

Der Gouverneur der Region, Oleh Sinegubow, erklärte, ukrainische Streitkräfte versuchten, die russischen Soldaten zurückzudrängen. Das könnte auch gelungen sein: Laut Sinegubow kontrollieren die ukrainischen Truppen die Stadt wieder. "Die bewaffneten Kräfte, die Polizei und die Verteidigungskräfte arbeiten hart und die Stadt ist komplett vom Fein gereinigt worden", schrieb Sinegubow auf Telegram.

Ukraine-Krieg: Laut Bürgermeister Klitschko ist Kiew noch nicht umzingelt

Charkiw: Satellitenbild

Der ehemalige ukrainische Botschafter in Österreich, Olexander Scherba, postete heute Früh dieses Video von russischen Truppen in Charkiw.

Gibt ukrainisches Militär den Osten auf?

Experten sind sich einig: Kiew hat militärisch gesehen die höchsten Bedeutung. Diese Einschätzung äußerte der Leiter der Forschung- und Entwicklungsabteilung der Theresianischen Militärakademie in Wiener Neustadt, Oberst Markus Reisner, am Sonntag gegenüber der APA. Die Gebietsverluste im Osten und die dortige Einkreisung von Städten "wiegt im Moment nicht so schwer wie die Symbolhaftigkeit der Hauptstadt".

Das ukrainische Militär befinde sich in einem ständigen Zermürbungskampf. Die ukrainische Armee müsse den russischen Vormarsch verzögern, um den Fluss Dnipro (Dnepr) als "Verteidigungslinie" vorzubereiten, und sie müsse die Situation im Süden (nordwestlich der Krim) konsolidieren, um einen russischen Durchbruch in das offene Gebiet hinter dem Dnipro zu verhindern, analysiert Reisner.

"Je hartnäckiger der Widerstand der ukrainischen Kräfte, desto höher die Bereitschaft der russischen Truppen, schwere Waffensysteme auch im urbanen Raum einzusetzen. Aber: Je besser und länger die Ukrainer kämpfen, desto mehr Sympathie wird die Welt für sie empfinden und sich mit ihnen solidarisieren."

Internationale Experten kommen zu einer ähnlichen Einschätzung. Das amerikanische "Institute for the Study of War" schreibt in einem aktuellen Bericht: Die ukrainische Führung könnte bald vor der schmerzhaften Entscheidung stehen, den Abzug anzuordnen und einen größeren Teil der Ostukraine den Russen zu überlassen.

Es gebe aber noch keine Hinweise darauf, dass die ukrainische Regierung diesen Entscheidungspunkt erwägt. Der ukrainische Widerstand bleibe "bemerkenswert effektiv und die russischen Operationen insbesondere auf der Kiewer Achse wurden schlecht koordiniert und ausgeführt, was zu erheblichen russischen Fehlern führte". Aber die russischen Streitkräfte "bleiben viel größer und leistungsfähiger als das konventionelle Militär der Ukraine".

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Kiew: Explosionen

"Es ist ruhig im Zentrum von Kiew. Am ruhigsten seit dieser Vollidiot in Moskau den Krieg erklärt hat", schrieb der frühere Botschafter in Österreich, Olexander Scherba, am Sonntag in der Früh auf Twitter. Später gab es jedoch Luftalarm, wenige Minuten später war eine Explosion westlich des Stadtzentrums, wie ein Reuters-Reporter berichtete. Etwa 20 Minuten später waren zwei weitere Explosionen zu hören.

Die ukrainischen Streitkräfte zogen zur Verteidigung der Hauptstadt weitere Kräfte zusammen. Es gehe vor allem um die Abwehr des russischen Angriffs im Norden und im Nordwesten der Hauptstadt, schrieb Vize-Verteidigungsministerin Hanna Maljar am Sonntag bei Facebook. Im ganzen Land laufe die Mobilisierung. Die Luftwaffe habe russische Kampfjets und Transportmaschinen über Kiew abgefangen, im Süden habe die Marine eine russische Landung vereitelt.

Zu Mittag wurde mitgeteilt, dass die ukrainische Armee die Stadt Irpin nordwestlich von Kiew zurückerobert habe. Die Agentur UNIAN veröffentlichte Videos, die angeblich getötete Russen zeigen sollen. Die Angaben ließen sich zunächst nicht unabhängig überprüfen. Zudem sollen ukrainischen Angaben zufolge mehrere gepanzerte Fahrzeuge der Russen nahe dem seit Tagen umkämpften Flugplatz Hostomel zerstört worden sein.

Maljar bezifferte die Verluste des russischen Militärs seit Beginn des Angriffskrieges am Donnerstag bisher auf rund 4.300 Soldaten. Diese Zahl müsse allerdings noch verifiziert werden. Zudem habe die russische Armee 146 Panzer, 27 Flugzeuge und 26 Hubschrauber, 2 Schiffe und mehr als 700 Militärfahrzeuge verloren.

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Unbestätigten Berichten zufolge schaltete die ukrainische Armee auch ein tschetschenisches Sonderkommando aus, das offenbar für die Liquidation der politischen Führung ins Land geschickt worden war. Dabei sei auch der Kommandant, General Magomed Tuschajew, getötet worden, wie ein Gefangener später verraten habe, berichtete die Zeitung "Ukrainska Pravda". Laut dem Onlinemedium "Kyiv Independent" wurden die Angaben mittlerweile auch vom ukrainischen Präsidialamt bestätigt. Die Zerschlagung des Kommandos soll beim umkämpften Flughafen Hostomel im Norden Kiews erfolgt sein.

Generalmajor Hofbauer zur Lage in der Ukraine

Cherson und Berdjansk eingekesselt

Darüber, dass die ukrainischen Truppen in Cherson und Berdjansk eingekesselt worden seien, berichtete die russische Agentur RIA Nowosti unter Berufung auf das russische Verteidigungsministerium. Zuvor hatte es schon geheißen, russischen Einheiten sei in Cherson nach erbitterten Kämpfen ein Vorstoß gelungen. Zudem hätten russische Truppen demnach die Stadt Henitschesk und einen Flughafen in der Nähe von Cherson eingenommen.

Auch in der Region Luhansk tobten demnach schwere Kämpfe. Dort meldeten die Separatisten, dass eine ukrainische Rakete ein Ölterminal in der Stadt Rowenky getroffen habe. Die Angaben ließen sich nicht von unabhängiger Seite überprüfen.

Die ukrainische Armee rief die Bevölkerung auf, den russischen Vormarsch mit allen Mitteln zu stoppen, etwa durch Barrikaden aus Bäumen und Molotow-Cocktails. Die ukrainische Straßenverwaltung rief zudem dazu auf, alle Straßenschilder und Ortstafeln im Land abzumontieren, um die Invasoren zu verwirren.

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