Gleichzeitig zeigte der wahrscheinliche Angriff mit Unterwasserdrohnen ein weiteres Mal Schwächen im Schutzsystem der Brücke von Kertsch auf und sorgte für harsche Kritik von zahlreichen prorussischen Militärblogs. Es sei sinnlos, bei wichtiger Infrastruktur wie der Krim-Brücke stets nur auf Bedrohungen zu reagieren.
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Grundsätzlich gilt die Brücke von Kertsch als gut gesichert – vor allem gegen Angriffe aus der Luft. Seit im vergangenen Oktober ein mit Sprengstoff beladener Lkw detonierte und die Brücke schwer beschädigte, werden Fahrzeuge durchsucht, bevor sie auf die Brücke dürfen.
Störsender
Wie die Unterwasserdrohnen bis zur Brücke vordringen konnten, ist ungeklärt – und wird es wohl weiterhin bleiben. Fakt ist, dass die Ukraine über Unterwasserdrohnen verfügt, die mit einem sogenannten Trägheitsnavigationssystem ausgestattet sind und daher nicht elektronisch gestört werden können. Bei früheren Angriffen – etwa auf russische Kriegsschiffe vor der Krim – wurden diese Unterwasserdrohnen meist mit schweren Maschinengewehren bekämpft. Es scheint der effektivste Weg zu sein.
Anders verhält es sich in der Luft, wo die russischen Streitkräfte über eine starke elektronische Kriegsführung verfügen: „Ich war schockiert darüber, wie gut die Russen auf diesem Feld sind“, sagte Eric Schmidt, ehemaliger Google-CEO und Ex-Vorsitzender des Defense Innovation Board (unabhängiges Beratungsgremium, Anm.) des Pentagons in einem CNN-Interview. „Praktisch alles, was ins Schlachtfeld geworfen wird, wird gestört – Drohnen, Kommunikation, GPS. Normale Drohnen ohne spezielle Antennen funktionieren hier nicht“, analysierte er.
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Wie dominant die unbemannte Luftfahrt im Ukraine-Krieg ist, zeigt die rasante industrielle Drohnenproduktion beider Seiten – erst kürzlich präsentierte Russland eine große Produktionsstätte für Lancet-Kamikazedrohnen, die sich vor allem gegen ukrainische Artillerie erfolgreich zeigten. Weit mehr als einhundert Waffensysteme fielen den Lancet-Drohnen bereits zum Opfer.
Mindestens 20.000 Granaten pro Tag
Dazu kommt – und das ist eines der großen Probleme der andauernden ukrainischen Gegenoffensive – dass die Drohnen immer besser als Leitsystem für die russische Artillerie eingesetzt werden. Nach wie vor gilt diese Waffengattung im Ukraine-Krieg als das wichtigste Mittel, um einen Bodenangriff vorzubereiten.
Und auch hier sind die russischen Streitkräfte im Vorteil: Zumindest 20.000 155-Millimeter-Granaten pro Tag verschießt die russische Artillerie, das ist – laut dem deutschen Spiegel – so viel, wie Deutschland derzeit insgesamt besitzt. Die USA wollen 85.000 im Monat produzieren – allerdings erst ab dem Jahr 2028. Derzeit steht die US-Produktion bei 14.000, jene der europäischen Verbündeten der Ukraine bei 25.000.
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Nachdem die erste Phase der ukrainischen Gegenoffensive gescheitert ist – der erhoffte Durchbruch an der Front blieb aus, gerade an der Südfront erreichten die ukrainischen Truppen bislang nicht die erste russische Hauptverteidigungslinie – dürften diese Produktionszahlen für die Ukraine beunruhigend sein. In einem andauernden Abnützungskrieg spielt die Zeit für Russland.
Gleichzeitig gehen erlangen die russischen Streitkräfte im Nordosten der Front wieder die Initiative, setzen unter anderem die im vergangenen Herbst befreite Stadt Kupjansk unter Druck. Unter Druck geraten derzeit aber auch einige russische Offiziere und Generale: In den vergangenen Tagen und Wochen sollen unter anderem die Kommandanten der 7. Garde-Luftsturm-Division sowie der 90. Panzerdivision entlassen worden sein. Erst kürzlich entfernte der Kreml den Kommandanten der 106. Garde-Luftlande-Division, die bei Bachmut eingesetzt ist. Just dort scheint sich für die ukrainischen Streitkräfte die beste Möglichkeit für einen erfolgreichen Gegenstoß aufzutun: Langsam aber sicher erobern sie nördlich und südlich der Stadt wichtige Positionen zurück, könnten sie bald durch Feuerreichweite einkesseln.
Im Süden könnte sich die Situation ebenso zu ukrainischen Gunsten wenden, sollte ein erfolgreicher Angriff über den Fluss Dnepr bei Cherson gelingen. Dort halten ukrainische Truppen seit einigen Wochen einen kleinen Brückenkopf, der allerdings andauernd unter russischem Feuer steht. Berichten zufolge soll dort eine ukrainische Offensive vorbereitet werden - doch auch die Russen sind sich dieses Risikos bewusst.
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