Bombardements von Wohnsiedlungen, vermutlich auch mit Clusterbomben, Angriffe auf Spitäler und Gebäude, die als Zufluchtsort von Zivilisten gekennzeichnet sind, Schüsse auf russische Kriegsgefangene – und seit dem Wochenende die Bilder aus Butscha, wo wahrscheinlich Hunderte Zivilisten von russischen Soldaten gefesselt und erschossen wurden.
Der russische Angriff auf die Ukraine offenbart einmal mehr die Schrecken und Gräuel des Krieges. Doch was gilt selbst im Krieg, wo es Usus ist, aufeinander zu schießen, als Verbrechen? „Im humanitären Völkerrecht muss man klar unterscheiden zwischen Kombattanten, also Soldaten und Zivilisten. Sobald ich zivile Ziele absichtlich treffe, also zum Beispiel Spitäler oder Kindergärten – oder wenn ich ganz gezielt Zivilisten erschieße, dann ist das eines der schwersten Kriegsverbrechen“, sagt Professor Manfred Nowak, Jurist und Menschenrechtsexperte, zum KURIER.
Das Recht zum Krieg
In der Carta der Vereinten Nationen sind Angriffskriege grundsätzlich verboten
Das Recht im Krieg
In der Haager Landkriegsordnung sowie den Genfer Abkommen sind Regeln festgeschrieben, die etwa das Leid von Zivilpersonen im Krieg vermindern soll
2002 wurde der Internationale Strafgerichtshof geschaffen, u. a. die USA, China und Russland haben sein Statut nicht ratifiziert
Grauzonen
Hat ein Soldat seinen Kontrahenten etwa kampfunfähig gemacht und dieser ergibt sich, dann ist ihm Gnade zu gewähren. Die Liste der Handlungen, die als Kriegsverbrechen gelten könnten, ist lang: Etwa Geiselnahmen, willkürliche Tötungen, Folter, die unmenschliche Behandlung von Kriegsgefangenen – und das sind nur wenige Beispiele. Allerdings gibt es in der Praxis viele Grauzonen: „Man muss sehr genau aufpassen, was man genau nachweisen kann. Massenvernichtungswaffen sind beispielsweise im Völkerrecht nicht völlig verboten, nicht einmal Atomwaffen. Aber zum Beispiel Cluster Bombs, also Streumunition, ist zum Teil verboten. Wenn es aber klar ist, dass ich mit diesen Waffen keinesfalls militärische Ziele treffen will, sondern sie direkt gegen die Zivilbevölkerung einsetze, dann ist das natürlich ein Kriegsverbrechen“, sagt Nowak.
So haben russische Mehrfachraketenwerfer bereits zu Beginn der Invasion auch Wohngebiete beschossen, argumentierten aber, es auf militärische Ziele abgesehen zu haben. Eine BM-30-Mehrfachraketenwerferbatterie (4 Geschütze) hat allerdings eine Wirkungsfläche von 800x800 Meter. Eine Untersuchung – wie auch in Butscha – sei hier notwendig. Erste Ermittlungen haben bereits begonnen, doch wie wird gearbeitet – und könnte es überhaupt zu einer Anklage kommen?
Die Ankläger – auch US-Präsident Joe Biden forderte einen „Kriegsverbrecherprozess“ – müssen zunächst nachweisen, dass Kriegsverbrechen begangen wurden. Das heißt, zum Beispiel, dass die Opfer von Butscha tatsächlich wehrlose Bürger waren. Darauf deuten die Fotos hin, und das bestätigen Augenzeugen. Die zweite Frage lautet: Wer sind die Täter? Waren es tatsächlich russische Soldaten, dann unterliegen sie der offiziellen Kommandostruktur. In dem Fall können auch ihre Kommandanten angeklagt werden.
Die dritte Frage für die Ankläger beim Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag ( ICC) lautet: Wussten die militärisch und politisch Verantwortlichen wie etwa der russische Präsident Wladimir Putin von den Kriegsverbrechen der Soldaten?
Sollte es zu einer Anklage gegen Putin kommen, dürfte fürs Erste nicht viel passieren: „Die Russische Föderation hat das Statut des ICC nicht ratifiziert, auch die Ukraine nicht. Allerdings hat Kiew nach 2014 eine Erklärung abgegeben, dass es die Jurisdiktion des ICC anerkennt“, sagt Nowak. Bis zu einem Regierungswechsel wäre Putin aufgrund eines möglichen Haftbefehls höchstens in seiner Reisefreiheit behindert. Doch für die Zeit danach hält Nowak vieles für möglich: „Denken Sie nur an Herrn Mladic, der für den Genozid in Srebrenica hauptverantwortlich ist und zu lebenslanger Haft verurteilt wurde. Das dachte damals auch niemand“, sagt er.
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