Querdenken-Bewegung: Warum sie so gefährlich ist
"Ganz besonders freuen wir uns auf die Beiträge von Kindern, Schülern, Studenten und den Youngsters" - was wie die Einladung zu einem Familienfest klingt, ist eine Ankündigung zur Demonstration für Mitte Dezember. Organisiert von der Querdenken-Bewegung, die seit Mittwoch mit nachrichtendienstlichen Mitteln vom Verfassungsschutz Baden-Württemberg beobachtet wird.
Die Gruppe, die dort ihren Ausgangspunkt hat und seit Monaten gegen die staatlich verordneten Corona-Einschränkungen auf die Straße geht, radikalisiere sich und sei durch Extremisten unterwandert, so die Begründung. Mehrere maßgebliche Akteure ordne das Landesamt dem Milieu der Reichsbürger und Selbstverwalter zu, die die Existenz der Bundesrepublik leugnen und demokratische und rechtsstaatliche Strukturen negieren. Es häuften sich zudem Aussagen, die die NS‐Zeit relativieren und den Holocaust verharmlosen, sagte der Landesinnenminister Thomas Strobl (CDU).
Zwar versuchten sich die führenden Personen der Bewegung in der Vergangenheit von Extremen teilweise zu distanzieren, doch wie klein der Abstand ist, zeigte sich vor Ort bei den Protesten. Da schwangen Reichsbürger ihre Fahnen, die Deutschland nicht als souveränen Staat anerkennen und einen Friedensvertrag fordern, marschieren Rechtsextreme mit. Genauso wie Geschichtsrevisionisten, die Armbinden mit Davidstern und der Aufschrift "ungeimpft" tragen oder Anhänger der aus den USA kommenden QAnon-Bewegung. Deren These: Die Welt werde von einer Elite regiert, die Kinder entführt und missbraucht.
Dass der Verfassungsschutz aktiv wurde, überrascht Katharina Nocun nicht. Die Wirtschafts- und Politikwissenschaftlerin hat für ihr Buch "Fake Facts - Wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen" in der Verschwörungsszene recherchiert und die Verbindung der unterschiedlichen Gruppen zu den Querdenkern beobachtet. Diese hätten sich von Anfang an nicht klar genug von den extremen Milieus abgegrenzt. Ansagen wie etwa: Man wäre für alle offen, würden von rechtsmotivierten Hooligans als Einladung verstanden. "Es gab auch Durchsagen bei den Demonstrationen, aber sie wirken halbherzig und unglaubwürdig, wenn sich dann führende Personen mit Reichsbürgern treffen."
Treffen mit dem "König von Deutschland"
So geschehen im thüringischen Saalfeld, wo der Stuttgarter Querdenken-Gründer und Unternehmer Michael Ballweg und Mitstreiter mit dem selbsternannten "König von Deutschland" zum konspirativen Austausch zusammenkamen: Peter Fitzek, ein vorbestrafter Reichsbürger, der die Bundesrepublik als Firmen-Konstrukt bezeichnet und die Demokratie als "wider der Natur". Man wolle sich nach "neuen Möglichkeiten und anderen Strategien umsehen", und habe "einen Lichtblick gefunden", stand in einem Schreiben an Mitglieder, das der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vorlag. Das Treffen in einem Lokal, wo nur "Staatsangehörigen und Zugehörigen des Königreichs Deutschland" Zutritt gewährt werde, flog auf, weil die Polizei eine Razzia durchführte. Die Anwesenden hätten gegen die Corona-Verordnungen verstoßen.
Die Pandemie ist für verschwörungsgläubige Reichsbürger ein idealer Nährboden: "Sie sind von einem Tag X überzeugt, fantasieren von Bürgerkrieg und hoffen durch Aktionen Unruhen herbeizuführen", so Nocun. Wurden sie anfangs wenig beachtet, sind sie mittlerweile im Visier der Behörden. Die Expertin erinnert an den Mord im bayerischen Georgensgmünd 2016, wo ein Polizist erschossen wurde sowie an die jüngsten Waffenfunde bei Hausdurchsuchungen.
Bei einem der Corona-Proteste in Berlin kam es zu schweren Ausschreitungen durch Reichsbürger und QAnon-Anhänger. Auch andernorts drückten Verschwörungsgläubige ihren Hass aus: Unbekannte warfen Brandsätze auf das Robert-Koch-Institut, das die deutsche Regierung in der Pandemie berät. Am selben Tag explodierte in Berlin-Mitte ein Sprengsatz. Der mutmaßliche Täter forderte in einem Schreiben den Rücktritt der Regierung. Überhaupt erhalten Politiker, Wissenschaftler oder Autorinnen wie Katharina Nocun Drohungen.
Das militante Vorgehen erklärt sie sich so: "Verschwörungserzählungen sind ein Radikalisierungsbeschleuniger, das wissen wir aus der rechtsextremen Szene. So gut wie alle Attentäter der letzten Jahre, die aus diesem Milieu kommen, haben daran geglaubt. Sie gehen vom großen Unrecht aus und rechtfertigen so ihre Gewalttaten."
Was Esoterik und Rechtsextremismus eint
Nicht alle, die derzeit auf der Straße protestieren, würden dies befürworten, so Nocun. Die Gruppen sind sehr unterschiedlich, teils bilden sie aber Allianzen. Und manche Überschneidungen sind nicht neu, etwa die Verbindung von Teilen der Esoterikszene mit rechtsextremen Kreisen, Antisemitismus und Verschwörungstheorien. "Es gab schon immer ein Problem in Teilen der Esoterik-Szene bezüglich der Fehlenden Abgrenzung zu Rechtsextremisten. Einige esoterische Verlage publizieren auch Bücher von Rechtsextremisten und braune Esoterik wird oft verharmlost. Die große Gemeinsamkeit zwischen Verschwörungsglaube und Esoterik ist die Annahme, es gäbe eine verborgene Wahrheit und geheime Kräfte, die im Hintergrund die Welt lenken. Esoterische Plattformen verbreiten nicht selten Verschwörungsmythen, die auch nach rechts anschlussfähig sind."
Was sie zusätzlich eint, ist der Gedanke an einen gemeinsamen Feind. Sie sind die Guten und alle anderen die Bösen. Das können Institutionen, Organisationen, Wissenschaftler, Politiker, Autorinnen wie Medien sein. "Die Erzählung von einer angeblichen Medienverschwörung wurde von der extremen Rechten gerne genutzt, um sich gegen Kritik von außen oder Faktenchecks zu immunisieren."
Bei allen Friedlichkeits-Bekundungen, die Querdenken-Akteure öffentlich kundtun, auch nachdem sie nun den Bescheid vom Verfassungsschutz haben, in ihren Kanälen ist die Stimmung eine andere. Es gibt keine wirksame Moderation, kritisiert Nocun. "Eine zivilisierte Debatte kann in der Sache heftig sein, aber da, wo Hass und Hetze anfängt und es zu Gewaltaufrufen kommt, ist eine Grenze überschritten."
Mit Kindern Handlungsdruck erzeugen
Was dort wie in anderen sozialen Medien oft auftaucht: Erzählungen, wonach Kinder am Maskentragen gestorben wären. Dabei handelt es sich um eine reine Erfindung. "Die in Verschwörungsmythen geschaffenen Feindbilder werden gestärkt, wenn sie von möglichst großen Unrecht erzählen", sagt Nocun. Die Wurzeln reichen bis ins Mittelalter zurück, wo antisemitische Verschwörungsmythen kursierten in denen Kinder ermordet und entführt wurden. Bewegungen wie QAnon bringen moderne Abwandlungen dieses alten Narrativs: "Bei ihnen geht es ebenfalls um das größtmögliche Unglück: Wenn Kinder zu Opfern werden. Damit können sie enormen Handlungsdruck aufbauen. Im Fall von QAnon werden damit auch ganz gezielt junge Mütter angesprochen."
Auch bei den Querdenkern spielen Kinder zunehmend eine strategische Rolle: Auf der Bühne als Redner und im Netz als Influencer. Über einen "Youngsters"-Instagram-Account werden sie angeworben und dann in einen nicht-öffentlichen Telegram-Kanal gelotst. "Wo Recht zu Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht", steht in der Beschreibung eines 17-jährigen Mitglieds.
Eine 11-Jährige wiederum verglich sich zuletzt bei einer Querdenken-Demo in Karlsruhe mit Anne Frank, weil sie ihren Geburtstag still und heimlich feiern musste. Der Leiter der Bildungsstätte Anne Frank, Meron Mendel, zeigte sich gegenüber dem KURIER entsetzt. "Diese Opfer-Inszenierung als Verfolgte, Widerstandskämpfer und die Diskreditierung der deutschen Demokratie soll eine Ideologie bzw. Widerstand gegen die Regierung rechtfertigen. Damit wird letztlich auch Gewalt legitimiert." In der Strategie der Täter-Opfer-Umkehr wären bis dato rechte Parteien routiniert gewesen, so der Pädagoge und Historiker. Nun beobachte er dies unter Demonstrationsteilnehmern, die den Holocaust mit der Pandemie vergleichen oder Politiker mit Kriegsverbrecher der NS-Zeit.
Solche Töne hört man auch von christlichen Fundamentalisten, die sich in der Querdenken-Gruppe Gehör und Bühne verschaffen. Dort wird dann der Theologe Dietrich Bonhoeffer benutzt im Sinne von: So wie er damals Widerstand gegen das NS-Regime geleistet hätte, müsste man es heute gegen die Regierung tun. Eine Erzählung, die ebenso von der Neuen Rechten gestreut wird. Die evangelische Allianz Deutschland hat sich ausdrücklich davon distanziert. Überhaupt bleibt den selbsternannten "Christen im Widerstand" die erhoffte Unterstützung der großen Kirchen aus.
Angehörige unterstützen
Die Bewegung sei definitiv in der Minderheit, stellt Katharina Nocun fest – daher lasse sich auch nicht von einer gespaltenen Gesellschaft sprechen. "Die Mehrheit befürwortet in Umfragen die Maßnahmen. Auch das Vertrauen in Politik und Wissenschaft hat zugenommen." Dennoch dürfe sie alleine schon wegen des Gefahrenpotenzials Einzelner nicht unterschätzt werden. Zudem gilt es Angehörige zu unterstützen. "Man muss sich vorstellen, was es für Kinder oder Verwandte heißt, in Familien zu leben, wo der gegenwärtige Zustand als Diktatur empfunden wird oder man sich dem Bürgerkrieg nahe sieht." Aus ihrer Sicht bedürfe es Prävention in Schulen, wo gelernt wird mit Verschwörungserzählungen umzugehen, und ein bundesweites Netzwerk an Beratungsstellen für Verwandte und Freunde der Betroffenen. "Sie sind oft die einzigen, die emotional noch zu diesen Menschen durchdringen und sie rausholen können. Das kann aber Monate bis Jahre dauern und ist ein zäher Kampf."
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