Corona-Demo in Berlin: Sie glauben an einen Masterplan, nicht an die Maske
Manche haben ihr Fahrrad mitgebracht, den Hund oder die Kinder – dass die Menschen, die am Samstagvormittag vom Potsdamer Platz zum Brandenburger Tor in Berlin ziehen, nicht einfach zu irgendeinem Ausflug gehen, sieht man dann doch sehr schnell. Von einer Bühne dröhnt die Musik von "Wir sind Helden", auf der anderen Seite hört man die Klänge eines Tamburins, eine Gruppe bewegt sich rhythmisch dazu. Ein Barfüßiger singt: "Nur die Liebe setzt sich durch."
Unweit davon: stiernackige Männer mit T-Shirts, die auf eine eindeutige Gesinnung schließen lassen. Dazwischen: Reichskriegsflaggen, Deutschland-Fahnen, AfD-Wimpel, Peace-Zeichen. Auch Trump- und Putin-Fans sind vor Ort. Und immer wieder ruft einer: Widerstand.
Was diese Menschen alle eint: Sie tragen keine Maske - nicht wenige machen sich darüber lustig. "Wir sind die zweite Welle" steht auf ihrer Kleidung. Was sie in Medien über das Coronavirus lesen, halten sie für eine Lüge und lehnen Politiker ab, die sich für Maßnahmen aussprechen bzw. deren Umsetzung.
Angriff auf den Reichstag
Manch einer würde auch gerne gleich weitergehen. Vor dem Reichstag ruft ein Mann seinen Zuhörern übers Mikrofon salbungsvoll zu, "energisch" zu sein und sich von den "diktatorischen Faschisten" zu befreien. Er selbst habe keine Angst davor "in eine andere Welt überzugehen". Man solle sich nicht aufhalten lassen. Gegen Abend werden es mehrere Hundert Menschen tatsächlich versuchen: Sie wollen das Reichstagsgebäude stürmen – und werden von der Polizei unter Einsatz von Pfefferspray daran gehindert.
Anreise aus Bayern
Stunden davor: Adelheid aus Bayern ist mit Bekannten aus Bayern angereist. Sie tragen Shirts mit der Aufschrift "Querdenken 711", jene Gruppe, die eine Großdemo angemeldet hat. Die Frau ist Ende 50 und hat früher in der DDR gelebt, erzählt sie. Sie fühle sich – mit Blick auf die Corona-Regeln – heute wieder an diese Zeit erinnert. Das Argument, dass sie heute demonstrieren darf und ihre Meinung kund tun könne, will sie so nicht stehen lassen. Immerhin wollte man die Demo ja verbieten, sagt sie. Als Grund dafür hatte die Berliner Versammlungsbehörde angeführt, dass durch die Ansammlung Zehntausender Menschen - oft ohne Maske und Abstand - ein zu hohes Gesundheitsrisiko für die Bevölkerung entstehe.
Dass dieses Verbot vom Oberverwaltungsgericht gekippt wurde - auch die Beschwerde der Polizei nicht durchging - und sie ja hier sein dürfe, verfängt bei der Frau nicht. Nach ein paar Minuten beginnt sie dann zu erzählen, was sie eigentlich umtreibt: Sie habe sich bisher immer an die Maßnahmen gehalten, nicht einmal das Grab ihrer Tochter auf dem Friedhof besucht - und irgendwann nicht mehr verstanden, wozu das alles gut sein soll.
"Die anderen lügen"
Ihre Freundin Elfriede pflichtet ihr bei. Sie sei für Freiheit und Selbstbestimmung hier, erklärt sie. "Mir sagt man, ich bin eine Lügnerin, dabei lügen die anderen." Das wären ihrer Meinung nach Medien, Politiker, Wissenschaftler. Die Bilder von Särgen aus Italien seien gefälscht.
Und dann erklärt sie etwas, das man an diesem Tag immer wieder hört: Corona sei eine normale Grippe. Dass daran immer wieder Menschen gestorben sind, habe bisher niemanden interessiert. Der Hintergrund für die Maßnahmen sei aus ihrer Sicht ein ganz anderer: Die Gesellschaft werde umgebaut - von den oberen reichen fünf Prozent. Es sei ihre Pflicht heute mitmarschieren, wer das nicht tue, "macht sich mitschuldig", sagt sie – das stamme von Ghandi. Überhaupt, sei es hier doch sehr friedlich.
Ein paar Meter daneben gehen Menschen mit einem Plakat vorbei: "Sperrt sie endlich weg" – darauf zu sehen: Bundeskanzlerin Angela Merkel, Gesundheitsminister Jens Spahn, Bayerns Ministerpräsident Markus Söder und der Virologe Christian Drosten. Wie lässt sich das mit der friedlichen Stimmung und Meinungsfreiheit vereinbaren? Merkel habe ihre Sorgfaltspflicht verletzt und böswillig gehandelt, sagen die Frauen.
Flaschenwürfe und Festnahmen
Die Polizei versucht indessen auf die Abstandseinhaltung hinzuweisen. An vielen Orten in der Stadt drängen sich die Menschen aber dicht aneinander, zirka 38.000 werden es am Ende laut Behörden sein. Sie müssen an diesem Tag auch einen Demo-Zug auflösen, weil kein Abstand eingehalten wurde und viele die Maskenpflicht verweigert haben. Das kommt nicht bei allen gut an: Flaschenwürfe, Angriffe auf Beamte und Festnahmen von zirka 300 Menschen sind am Abend Teil der Bilanz.
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