Gnadenloser Geheimdienst? Wie der Mossad vorgeht
Sein Dienst sei "verpflichtet", so David Barnea im Jänner, die führenden Köpfe der Hamas zu jagen, die hinter den Anschlägen vom 7. Oktober stecken. "Es wird Zeit brauchen, so wie es nach dem Massaker in München Zeit brauchte. Aber unsere Hände werden sie fangen, wo immer sie sind."
Der Mossad-Chef hat Wort gehalten: Vergangene Woche wurde innerhalb von zwei Tagen die Tötung des politischen Führers der Hamas, Ismail Haniyeh, und des berüchtigten Hamas-Kommandeurs Mohammed Deif verkündet (Deif soll bereits Mitte Juli bei einem Luftangriff getötet worden sein); dazu kommt die gezielte Ermordung des Hisbollah-Kommandanten Fuad Shukr.
Auch wenn Israel den Angriff auf Haniyeh in Teheran, eine katastrophale Schmach für den Iran, nach wie vor nicht für sich reklamiert hat, sind sich Experten einig: Die Informationen und das Netzwerk dafür hat nur der israelische Auslandsgeheimdienst Mossad – einer der legendärsten Geheimdienste der Welt.
Weltweites Netzwerk an "Freiwilligen"
Die Financial Times sprach von einer Art Rehabilitierung, die der Mossad nach den tödlichen Attentaten durchmacht: Nach dem Hamas-Angriff mit über 1.200 Toten gab es Kritik. Wie konnte der mächtige Mossad den Terrorakt nicht kommen sehen? Zwar fällt der Gazastreifen in den Zuständigkeitsbereich des Inlandsgeheimdienstes Shin Bet – doch auch im Ausland sind Geldströme geflossen und Vorbereitungen für den Hamasangriff getroffen worden.
Gegründet 1949 als Beschützer Israels zwischen feindlich gesinnten arabischen Staaten, soll der Mossad heute ein paar Tausend "Angestellte" haben, und der größte Geheimdienst nach der CIA sein. Im Vergleich zu anderen Geheimdiensten ist die Zahl der operativen Mitarbeiter gering – dafür soll der Mossad über ein enormes Netz an "Freiwilligen" auf der ganzen Welt verfügen. Mit einem Klick kann man sich auf der Website "bewerben" – muss dafür aber israelischer Staatsbürger sein. Das Hauptquartier liegt im Norden Tel Avivs, die Adresse ist bekannt, eine Besichtigung aber nicht möglich.
Selbst Experten haben nur beschränkten Einblick in die Arbeit des Mossad. Auch das macht ihn – genauso wie den Shin Bet – so legendär, inspiriert Bücher, Filme und Fernsehsendungen (Stichwort Fauda).
Sein Prestige verdankt er seinen großen Coups: 1960 entführten israelische Agenten den ehemaligen SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann aus Argentinien, betäubt und mit gefälschten Dokumenten wurde er in einer Regierungsmaschine nach Israel gebracht, zum Tode verurteilt und gehängt. Auf das Olympia-Attentat in München 1972, bei dem elf israelische Sportler und ein Polizist starben, antwortete der Mossad mit der Vergeltungsaktion "Der Zorn Gottes". Die Suche nach den dafür verantwortlich gemachten Tätern dauerte fast zwei Jahrzehnte, führte durch Europa und Nahost, über 20 mutmaßliche Verantwortliche wurden getötet.
Kritiker werfen dem Mossad komplett freie Handhabe ohne demokratische und gesetzliche Kontrolle vor. Es herrsche eine extreme Geheimhaltungspolitik: Jahrzehntelang war die Veröffentlichung des Namens des Mossad-Chefs sowie die Erwähnung des Geheimdienstes selbst verboten. Auch Pannen, die Ermordung unschuldiger Zivilisten und Enttäuschungen gehören zur Geschichte des Mossad – etwa jene vom Spion Ashraf Marwan, dem Schwiegersohn des ägyptischen Präsidenten Nasser, der Israel zu spät vor dem Jom-Kippur-Krieg 1973 warnte.
Niemals gegen Juden und dem Premier unterstellt
Im Wesentlichen unterliegt der Mossad nur zwei Weisungen: Niemals darf er sich gegen das eigene Volk wenden, weder Juden noch Israelis – selbst Deserteure nicht – umbringen (was nicht immer gelang). Und: Der israelische Premier hat das letzte Wort. Daran hält sich der Mossad bedingungslos.
Gerade das mache Analysen besonders schwierig, sagt, Fabian Hinz, Wissenschaftlicher Mitarbeiter für Verteidigungs- und Militäranalyse beim International Institute for Strategic Studies (IISS) in Berlin: "Es gibt große Unterschiede zwischen den Möglichkeiten der Analyse von militärischen Fähigkeiten und der Vorhersage von Einzelentscheidungen." Motive und Intentionen vorherzusagen, sei meist mit Spekulationen verbunden. "Das geschieht hinter verschlossenen Türen in einem sehr kleinen Kreis, da gewinnt man nur wenig Einblick."
Bestens vernetzt – selbst im Iran
Zuletzt hat der Mossad seinen Fokus auf den Iran gelenkt. Dessen Atomprogramm sowie die Unterstützung der islamistischen Organisationen in der Region, allen voran der Hamas und Hisbollah, drängten Israel zum Handeln: Cyberangriffe und Sabotageakte auf das iranische Atomwaffenprogramm; die Tötung des Atomphysikers Mohsen Fakhrizadeh 2020 durch ein ferngesteuertes Maschinengewehr auf offener Straße; die Ermordung des Obersts der Revolutionsgarden Sajad Chodai 2022; die Vergiftung von zwei iranischen Wissenschaftern.
Wie gut der Mossad im Iran vernetzt ist, sei laut Hinz auch beim iranischen Angriff im April nach Israels Anschlag auf die iranische Botschaft in Damaskus ersichtlich gewesen. Der Experte glaubt nicht, dass sich der Iran bei seiner Reaktion damals "absichtlich zurückgehalten hat. Das war eine sehr scharfe Reaktion des Iran, die militärisch gescheitert ist." Möglich ist, dass Warnungen des Auslandsgeheimdienst mitverantwortlich gewesen sein dürften für die erfolgreiche Abwehr des Angriffs. "Dieser gescheiterte Angriff könnte auch Auslöser gewesen sein für die Entscheidung der Israelis, jetzt direkte militärische Aktionen im Iran durchzuführen."
Man kann Anzeichen nur deuten, betont Hinz. Was zusätzlich für das erfolgreiches Wirken des Mossad im Iran sprechen dürfte: "Würden die Iraner israelische Sabotageakte verhindern und beispielsweise Mossad-Agenten gefangen nehmen, würden sie diese Erfolge sehr wahrscheinlich an die große Glocke hängen und diese Leute hinrichten lassen. Das haben wir in der Vergangenheit eher selten gesehen."
Trotz aller Erfolge des Mossad: Unter Analysten gibt es auch die Meinung, die Ermordung führender Köpfe hinter Terror und Anschlägen sei nur eine kurzfristige Lösung und beinhalte stets ein strategisches Risiko. Dieses bergen auch die jüngsten Attentate, die, so wird befürchtet, den Nahen Osten in einen ausgewachsenen Krieg stürzen könnten.
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