Ist es antisemitisch, ein Palästinensertuch zu tragen?

Eine State mit Palästinensertuch über dem Kopf
Darf man ein sofortiges Ende des Gazakriegs fordern oder „Israelkritik“ üben? Ein Gespräch darüber, wo legitime Kritik angebracht ist und wo Antisemitismus beginnt

Pro-palästinensische Protest-Camps an Unis muteten zuweilen wie „antisemitische Volksfeste“ an, meint Karin Stögner. Die österreichische Soziologin, Expertin zum Thema Antisemitismus, über antisemitische Codes und wie Solidarität mit Palästinensern oft missverstanden wird.

KURIER: Wo beginnt Antisemitismus? Schon beim Wort “Israelkritik”?

Karin Stögner: Interessant ist, dass es das Wort Israelkritik überhaupt gibt, während es etwa Norwegenkritik oder Österreichkritik oder auch Ägyptenkritik nicht gibt. Israelkritik beinhaltet die Extrabedeutung, dass nicht die Regierung und nicht bestimmte Missstände im Land kritisiert werden, sondern die Existenz des Landes als solche.

Ist denn jegliche Kritik an Israel antisemitisch? 

Oft ist zu hören, man dürfe Israel nicht kritisieren, weil man dann sofort unter Antisemitismusverdacht geraten würde. Dabei ist zu beobachten, dass kaum ein Land so sehr kritisiert wird wie Israel. Viele Leute, auch Akademiker, sagen oft: “Ich kenne mich mit dem Nahostkonflikt nicht aus”, aber dann haben sie doch eine feste Meinung dazu. Eine Meinung ist selten gut informiert über die historischen Hintergründe, über die tatsächlichen Gegebenheiten, über die tatsächliche Komplexität der Lage im Nahen Osten. Kritik an der Regierungspolitik Israels muss nicht, kann aber antisemitisch sein, wenn mit antisemitischen Codes gespielt wird, wie etwa, dass Israel „typisch jüdische“ Gier und Verschlagenheit an den Tag lege oder an den Palästinensern ähnliche Verbrechen begehen würde wir die Nazis an den Juden. 

Israel als neokolonialen Siedlerstaat zu bezeichnen, ist eindeutig antisemitisch…. 

Es ist vor allem falsch und macht Juden und Jüdinnen zu Fremden in der Region. Das ist vor dem historischen Hintergrund absurd, grotesk und hanebüchen.

Wir wissen alle, dass sich das Judentum genau dort vor tausenden Jahren entwickelt hat. Diese Geschichte soll ausgelöscht werden – und das ist antisemitisch. Insofern ist der “Siedlerkolonialismus” ein Code, wonach sich ein westlicher Kolonialismus eine vorgeblich autochthone arabische Bevölkerung ausbeuten und verdrängen würde. Palästinenser seien dort heimisch, Juden hingegen nicht. Ignoriert wird zudem, dass 20 % der Israelis Muslime und Christen sind, und dass 50 Prozent der jüdischen Israelis aus arabischen Ländern stammen, aus denen sie vertrieben wurden.

Südafrika hat Klage vor dem Internationalen Gerichtshof eingereicht, es wirft Israel Genozid vor. Handelt Südafrika deswegen antisemitisch? 

Zunächst: dieser Genozidvorwurf wurde vom Internationalen Gerichtshof nicht bestätigt. Die Richter und Richterinnen haben vielmehr gesagt, Israel müsse alles unternehmen, damit es zu keinem Genozid kommt. Der Genozid-Vorwurf ist eine Verleumdung, die durch ständige Wiederholung zu einer vorgeblich unbestreitbaren Tatsache gemacht wird. Das hat mit realen Fakten nichts zu tun. Das sieht man beispielsweise auch an den Uni-Protesten. 

Apropos: sind denn die Proteste an den diversen Unis gerechtfertigt

An den Protesten fällt auf, dass sie hauptsächlich einen Israelhass propagieren und nur vordergründig solidarisch mit den Palästinensern sind. Das erkennt man daran, dass die Hamas nicht verurteilt und die Freilassung der Geiseln nicht gefordert wird.

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