Verhaftungen an 30 Unis
Begonnen hat all das auf einem Rasenviereck in Columbia. Die Uni in Manhattan, eine der „alten Acht“ der Ivy League, gilt als eine der „wokesten“ Hochschulen der USA; für Liberale ist das eine Auszeichnung, für Republikaner ein Schimpfwort. Dass vor zwei Wochen etwa 100 Studenten Campingzelte inmitten der altehrwürdigen Gebäude errichteten, später auch ein Gebäude besetzten, um gegen Israels Vorgehen in Gaza zu demonstrieren, spaltet darum das ganze Land. Die einen sehen in der Forderung, dass die Uni sich aller ihrer Großspender mit Israel-Konnex entledigen solle, eine legitime Unterstützung der palästinensischen Sache. Die anderen nur: Antisemitismus.
Wo diese Grenze verläuft, wurde in den vergangenen 14 Tagen oft mit Polizeigewalt verhandelt. Die Proteste weiteten sich auf Dutzende Unis aus, es kam zu Gewalt; an 30 Hochschulen gab es mittlerweile Verhaftungen, zählt die New York Times. An der Columbia selbst eskalierte die Lage in der Nacht auf den 1. Mai: Die Unileitung hatte die Polizei zu Hilfe gebeten, weil ihre Androhung, die Protestierenden zu exmatrikulieren, nichts genutzt hatte. Nur ein paar Studenten hatten sich von der Aussicht, auf Zehntausenden Dollar Schulden ohne Abschluss sitzen zu bleiben, entmutigen lassen. Den Rest inhaftierte die Polizei.
„Genocide Joe“
Seither sprießen die Protestcamps nur so aus dem Boden – und im Weißen Haus starrt man darauf wie der berühmte Hase auf die Schlange. Joe Biden, der im Herbst um die Wiederwahl kämpft, bringen die Proteste in eine veritable Zwickmühle. Denn die Studenten, die die Barrikaden errichten, zählen eigentlich zur demokratische Kernwählerschicht, jetzt aber nennen sie ihn nur mehr „Genocide Joe“. Und die jüdischen Studenten, die sich von diesen Demonstrierenden drangsaliert fühlen, sind ebenso Zielgruppe, nicht wenige Demokraten-Großspender sind jüdisch – und Columbia-Financiers.
Schlägt Biden sich zu sehr auf die Seite Israels, riskiert er im jungen, linken Lager vollends die Unterstützung zu verlieren; seine Umfragewerte dort sind schon jetzt historisch tief. Zeigt er zu viel Verständnis für die Campus-Besetzer, bricht ein anderer, entscheidender Teil seiner Wähler weg.
Er hat sich deshalb für verbale Ambivalenz entschieden, verurteilt Unverständnis auf „beiden Seiten“. Gut kommt das aber nicht an, weder in der eigenen Partei noch bei den Wählern – wohl auch, weil die Republikaner ihm daraus einen Strick drehen. Sie werfen ihm vor, denselben Wortlaut zu verwenden wie einst Donald Trump, der 2017 nach dem tödlichen Neonazi-Aufmarsch in Charlottesville von „guten Menschen auf beiden Seiten sprach“. Trump selbst ging sogar noch weiter: Charlottesville sei im Vergleich zu den jetzigen Unruhen „nur eine Kleinigkeit“ gewesen, schrieb er auf seinem eigenen Social-Media-Dienst.
Der Uni-Kulturkampf
Mit solchen Vergleichen schürt der Ex-Präsident ganz bewusst ein düsteres Bild, das die Republikaner schon seit Langem malen. Die Unis, vor allem die liberalen an der Ostküste, seien Horte der Unzivilisiertheit und der bewussten staatlichen Destabilisierung – und die Demokraten mitsamt ihrem Präsidenten ihr verlängerter Arm.
Claudine Gay, Harvards erste schwarze Präsidentin, passte schon perfekt in dieses Narrativ. Als sie es im Winter nicht und nicht schaffte, sich von den Pro-Palästina-Demonstranten auf ihrem Campus zu distanzieren, poppten wohl bewusst gestreute Plagiatsvorwürfe auf. Kurz danach warf sie unter massivem medialem und internem Druck hin. Dasselbe Schicksal droht nun Minouche Shafik, der aktuellen Präsidentin von Columbia: Auch sie, die erste Frau in dem Amt und ein Einwandererkind aus Ägypten, steht im Kreuzfeuer der Kritik. An ihrer Qualifikation – sie war jüngste Vizepräsidentin der Weltbank, danach sechs Jahre lang Direktorin der renommierten London School of Economics – gibt es zwar nichts zu rütteln, wohl aber an ihrem Krisenmanagement. Ihr wird der Polizeieinsatz zur Last gelegt – und zwar von allen Seiten.
Aus den eigenen Uni-Reihen wird ihr vorgeworfen, viel zu aggressiv gegen die Studenten vorzugehen – der Einsatz war schließlich der erste seit jenen im Jahr 1968. Und das rechte Lager wirft ihr hingegen vor, viel zu milde zu sein und mit ihrer Untätigkeit die teuer zahlenden Studenten um ihre Bildung zu bringen – dort ruft man sogar nach der Nationalgarde. Auch das ist ein bewusst gewähltes martialisches Bild: Der letzte Einsatz der Nationalgarde auf einem Campus endete 1970 mit vier toten Studenten.
Im Biden-Lager blickt man auf all das mit zunehmender Verzweiflung. Die Hoffnung liegt im Sommer: Bald schließen die Unis, die Ferien kommen, und Bidens Strategen nehmen an, dass dann auch die Proteste einschlafen. Die Wahl selbst ist aber erst im November – ist der Gazakrieg bis dahin nicht vorbei, ist es auch der Studentenkrieg nicht.
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