Gerade die Kunstwelt – siehe Documenta, siehe Biennale Venedig – hat diesen Anspruch so weit verinnerlicht, dass er allüberall anzutreffen ist. Man schmückt sich verlässlich, fast mechanisch mit nicht-westlichen Positionen, die man zeigt, um einen politischen Punkt zu machen: Seht her, das sind die, die ihr bisher unterdrückt habt.
Das beginnt bereits, wegen einer gewissen Gleichförmigkeit seine Reibungskraft zu verlieren, zumindest abseits der noch von diesem Blickwechsel euphorisierten Kunstwelt. So, wie die Wokeness eine zeitlang den Diskurs absolut beherrscht hat und genau deswegen seither entwertet und entkräftet wurde, hat auch der postkoloniale Kunst-Diskurs sein durchaus bemerkenswertes Sprengpotenzial bereits hinter sich.
Außer in einem Punkt.
Und der hat die Kunst- und Kulturwelt am völlig falschen Fuß erwischt. Denn so uneingeschränkt erbaulich, lehrreich und lohnend, wie sich die auf sich selbst stolzen Kuratoren und Regisseure diesen Blickwechsel vorgestellt haben, ist er nicht geworden. Den postkolonialen Triumphmarsch durch die Kulturinstitutionen begleitet eine unwillkommene Kehrseite, der Antisemitismus. Israel nämlich wird von vielen Menschen in nicht-westlichen Ländern ganz ohne Nuancierung als Unterdrücker wahrgenommen, der mithilfe der ehemaligen Kolonialmächte bis heute die Ausbeutung von einst betreibe. Diese Sicht wirft natürlich die Komplexität des Konflikts zugunsten eines Weltbildes über Bord – und äußert sich in Debatten mit jenen, die nun neu in den Ausstellungszirkus eingeladen werden. Und diese Israel-Kritik hat allzu oft eine offene Flanke zum Antisemitismus. Es wird darauf gepocht, dass man ja nur Israel kritisiere – dabei bleibt es aber, wenn man genau zuhört, selten.
Zu Wort kommen
Die postkolonialen Fürsprecher (und Nutznießer) in der Kulturszene tun sich nun schwer, diese Sicht einzuhegen oder abzuwehren – denn man kann nicht unterdrückte Stimmen zu Wort kommen lassen und ihnen dann gleich wieder selbiges verbieten.
Und diese Sicht – Israel als Unterdrücker, der aus Prinzip im Unrecht ist – wird zunehmend auch in der progressiven Welt angenommen und normalisiert, wie man an den US-Unis sieht: Man trägt Palästinensertuch (die Woken hätten noch gesagt, das ist kulturelle Aneignung) und attackiert Juden. Das fällt natürlich vielerorts auf fruchtbaren Boden: Überschießende Israel-Kritik zieht sich ohnehin durch weite Teile der europäischen Linken.
Auch Milo Rau hat sich diese Debatte eingetreten. Er hat mit Yanis Varoufakis und Annie Ernaux zwei Vertreter einseitiger Israel-Kritik in einen Rat eingeladen, der ihn bei der (künstlerischen) Gründung einer „Wiener Republik“ beraten soll. Die Wiener Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler musste im Gemeinderat zur Verteidigung ausrücken. Doch da hilft keine Ausflucht: Varoufakis und Ernaux stehen für Sichtweisen, die in Österreich aus gutem Grund außerhalb der vertretbaren Israel-Kritik gesehen werden.
Das hat der KURIER kritisch analysiert. Rau sieht die Einladung als Eröffnung eines Dialogs. Und betont: Er sei etwa im Boykott des israelischen Pavillons in Venedig „weder mit Varoufakis noch mit Ernaux einig“. Seine Sicht der Dinge – Europa sei zweifach Täter – und was das Theater hier leisten könne, hat er in einem Text zusammengefasst, den wir als Zurüstung für die Debatte nun als Gastkommentar veröffentlichen.
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