Wiener Festwochen und Politik: Noch eine Bühne für die immer gleiche Blase
Man kennt diesen Typus von jeder Fernreise: Bis oben hin behängt mit der teuersten Safari-Ausrüstung, trampelt er dennoch nur mit all den anderen Pauschaltouristen die ausgelatschtesten Pfade entlang, schaut die selben Sehenswürdigkeiten an und lässt sich von den unverhohlen grinsenden lokalen Händlern den billigsten Tand andrehen.
Das kann einem, wie der sympathische neue Chef der Wiener Festwochen, Milo Rau, beweist, natürlich auch in Wien passieren. Oder gerade hier.
Der Schweizer ist ein international erfolgreicher Theatermacher, der viel Wert darauf legt, nicht nur die etablierten Sichten zu erarbeiten, der nach Brasilien fährt, um dort Szenen einer postkapitalistischen „Antigone im Amazonas“ zu inszenieren.
Um sich jedoch an Orten, die man nicht kennt, nicht vereinnahmen zu lassen, braucht es lokale Expertise. Das gilt für den echten Dschungel wie für den Wiener Beziehungsdschungel.
Der Reiseführer
Rau sagte bei seiner Präsentation als neuer Chef, dass sein erster „Reiseleiter“ in Wien Robert Misik sei. Als gelernter Österreicher weiß man, welche Attraktionen Misik – brillanter Essayist, der aktuelle, linke Positionen ins Österreichische übersetzt – für wichtig hält und welche Blase er vertritt. Dass Rau in diese prompt eingemeindet wurde, kann man nun am lokalpolitischen Teil des Programms seiner ersten Festwochen (17. 5. bis 23. 6.) ablesen.
Er will nämlich – Agitprop lässt grüßen – eine aktivistische „Freie Republik Wien“ etablieren. Revolution lässt sich natürlich besonders leicht spielen, wenn man 12 Millionen Euro Subvention bekommt und im noblen Hotel Imperial bei einer Pressekonferenz ein bisschen Aufstand aufführt. Die Anmutung dieser PK – das Team kam mit Sturmhauben wie Revolutionäre von der Stange – changierte zwischen Bubenstreich und peinlich.
Aber das bisher angekündigte Personal dieser Republik ist alles andere als revolutionär; es ist das gratismutige Abbild einer engen Bubble, die die Republik schon seit Langem entscheidend mitprägt. So sind Kabarettist Florian Scheuba, Anwalt Alfred Noll, Misik eben, Dramaturg Claus Philipp die entscheidenden Protagonisten der angekündigten „Wiener Prozesse“, bei denen es um Korruption, Faschismus und, zum Glück, auch um die Scheinheiligkeit der Kultur in diesen Fragen gehen soll.
Nun braucht dieses Land linken Pfeffer. Dass es viel davon in der Kultur gibt, ist nicht das Problem, sondern Produkt eines Versäumnisses: Der Kulturbegriff der FPÖ beschränkt sich auf Blasmusik, Trachten und Andreas Gabalier, und jener der Bundes-ÖVP – einstige Hochkulturpartei – zunehmend auch.
Das Problem ist ein anderes: Die Festwochen tragen mit diesem Personal die euligsten Eulen überhaupt nach Athen. Das Festival, einst ein Fenster zum Bühnengeschehen der Welt, bietet nun wohletablierten lokalen Positionen mal wieder eine große Bühne. So klingt das politische Programm wie eine Sonderausgabe des Falter.
Hilfe für die FPÖ
Und man läuft hier mit stolzgeschwellter Brust ins innenpolitische Messer. Erwartungsgemäß ist beim „Faschismus“-Prozesstag die FPÖ rasch bei der Hand, sie wird schon in der Ankündigung vor den Vorhang geholt: „Müsste gar die FPÖ mit sofortiger Wirkung für ,illegal’ erklärt werden?“, heißt es auf der Festwochen-Webseite.
Man hört förmlich das Lachen aus der FPÖ-Zentrale, die heuer vielleicht das erste Mal mit der Idee spielen sollte, den Festwochen noch Zusatzsubvention zu überweisen: Eine bessere Wahlhilfe als eine eindeutig „links“ punzierte Künstlertruppe in Wien, die wenige Monate vor dem Urnengang in einem „Schauprozess“ über ein Verbot der FPÖ sinniert, könnten sich die Blauen gar nicht wünschen.
Man hört, dass auch bei manchen Grünen und manchen Roten Entsetzen über diese Idee herrscht.
Und Rau hat sich schon im Vorfeld eine weitere giftige Debatte eingefangen. Für seine „Wiener Republik“ hat er einen 100-köpfigen Rat bestellt. Mit dabei sind Nobelpreisträgerin Annie Ernaux, Soziologe Jean Ziegler und der griechische Ex-Finanzminister Yanis Varoufakis.
Die tragen einen riesigen blinden Fleck bezüglich Antisemitismus in die „Freie Republik Wien“: Sie sind verhaftet in jenem postkolonialen Diskurs, der an sich legitime Israel-Kritik dermaßen einseitig betont – und den Terror der Hamas dermaßen offensichtlich unterspielt, wenn nicht ausblendet –, dass es hierzulande als Antisemitismus gelesen werden kann.
Nebentöne
Prompt handelte sich Rau einen diesbezüglichen ÖVP-Rüffel ein, der zwar natürlich Schwarz-gegen-Rot- und Bund-gegen-Wien-Nebentöne hat. Aber genau auf Nebentöne kommt es an.
Man hätte von der Documenta und der Berlinale und den Oscars lernen müssen: Mit ideologischer Einseitigkeit bedient man sein Zielpublikum – und schadet dem Diskurs. Wer nämlich glaubt, dass in der österreichischen Debatte Israel-Kritik von links fehlt, hat nicht genau genug hingehört. Weder beim Eiertanz der SPÖ in dieser Frage. Noch bei der Diskursdrehung, die die rechte Reichshälfte durchgemacht hat: Die hat die eigene, reichhaltige Geschichte des Antisemitismus prompt vergessen, als sie erkannte, dass man mit Antisemitismuskritik gut Stimmung gegen den Islam und die Linken machen kann.
Rau betont, dass Antisemitismus eine rote Grenze für ihn sei – und dass Positionen wie die von Ernaux außerhalb Österreichs die Diskurshoheit haben. Na und?
In Österreich helfen einseitige Gegenpositionen nicht weiter, im Gegenteil. Dass unter den Altlinken und in der postkolonialen Debatte kein Zweifel zugelassen wird, dass Israel hier an den Pranger zu stellen ist, heißt noch lange nicht, dass diese Position richtig ist.
Die Hoffnung, dass die Festwochen aus der Kunstbubble, in der sie zuletzt waren, wieder Richtung Mehrheitsfähigkeit rücken mögen, dürfte sich nicht so rasch realisieren.
Das alles heißt natürlich nicht, dass das künstlerische Programm der Rau’schen Festwochen nicht spannend und toll gewesen sein wird – das im Vorfeld zu beurteilen, wäre ein Vorurteil.
Aber es steht zu hoffen, dass der Intendant auf seinen Diskursexpeditionen auch mal in die anderen Ecken der Republik schaut. Sonst mag er gar als Tourist scheinen, der es nur bis zum Karl-Marx-Hof geschafft hat – und dann wieder abgereist ist.
Kommentare