Denn der „Minimaldissens“, in dem sich die Progressiven im Zuge der Wokenessdebatte verfangen haben, das Streiten über Wörter, Identitäten und Empfindlichkeiten mit eigentlich Gleichgesinnten, die „bereitstehen, um einen misszuverstehen“, hat etwas ersetzt, das Rau in seiner Arbeit zentral ist: die Utopie und die Zukunft.
Die will Rau, der im Mai seine ersten Festwochen verantwortet, über die Kunst wiedererobern, genauer: durch den „Globalen Realismus“. So nennt Rau jenen Akt, mit dem er aus den kulturinternen Moralismus-Diskursen heraus- und in die reale, ungerechte Welt eintritt (bzw. eintreten will).
Revolution!
Er will, so beschreibt er in dem Essay, mit seinen Arbeiten im Kongo, in Mossul oder im brasilianischen Dschungel die Kunstwelt wieder vom Kopf auf die Füße stellen. Denn „jede Revolution beginnt mit einer extremen Erfahrung“, schreibt er, und die „Uneinigkeit der Wohlmeinenden stärkt die Herrschaft des Tatsächlichen“.
Ja, Rau geht es um eine Revolution im ganz klassischen Sinn. Eine der unhinterfragten Prämissen seines Standpunktes ist die Verderbtheit des Kapitalismus, ein anderer, dass ein Unten gegen ein Oben immer moralisch im Recht ist.
Aus diesem Blickwinkel ist der moralinsaure Debattierclub, zu dem sich Kulturschaffende und der intellektuelle Nachwuchs allzu gern zusammenfinden, sogar eine Bestärkung der Verhältnisse: Die Kritik aneinander „überschreibt die Utopie, vertagt sie“, konstatiert er. Da kritisiert einer von innen heraus mit recht scharfer Feder den Betrieb, auf dessen Maschinerie er selbst ziemlich erfolgreich dahinhantiert.
Draußen, in der „echten Welt“, die selbst natürlich wieder nur ein weiteres Konstrukt ist, findet Rau vor allem Ungerechtes. Da wird der Essay gar sehr pathetisch.
Dennoch: Wer verstehen will, wie der Festwochenchef über Theater und seine revolutionäre Wirkungsmacht denkt, liest hier durchaus Aufschlussreiches.
Wobei Wien immer ein schlechtes Pflaster für Revolutionen war.
Info: Milo Rau: „Die Rückeroberung der Zukunft“, Rowohlt. 176 Seiten. 23,50 Euro
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