Neuer Festwochen-Intendant: „Es wird kein Milo-Rau-Festival geben“
Der Vertrag von Milo Rau, dem neuen Intendanten der Wiener Festwochen, läuft ab 1. Juli. Der Schweizer, der in der letzten von Christophe Slagmuylder verantworteten Ausgabe (bis 21. 6.) seinen politischen Aufschrei „Antigone im Amazonas“ präsentierte, tauchte aber schon jetzt in die Stadt ein, wie er es nennt. Leider hatte er Pech: In einer Vorstellung saß er hinter dem KURIER-Redakteur.
KURIER: Ihnen hat es gestern wohl nicht gefallen: Sie sind in der Pause gegangen.
Milo Rau: Ich muss mir ja verschiedene Spielorte angucken und hatte noch einen Termin. Ich dachte, ich hätte es unbemerkt gemacht. Ich hätte auch gehen müssen, wenn meine Frau mitgespielt hätte.
Sie sind also bereits auf Recherche in Wien unterwegs?
Klar, ich lerne die Partner der Festwochen kennen und versuche zu verstehen, wie die Stadt funktioniert. Die Vorgangsweise ist ähnlich wie bei „Antigone im Amazonas“ oder anderen Stücken von mir: Ich lasse mir gerne alles über ein Thema erzählen, statt darüber zu lesen.
Bei unserem Interview über die Uraufführung „Everywoman“ 2020 in Salzburg schienen Sie glücklich in Gent. Warum jetzt der Wechsel?
Bin ich auch! Ich habe meinen Vertrag 2022 sogar verlängert – für weitere sechs Jahre. Aber wenn man von den Festwochen genommen wird, dann geht man dahin, da gibt es keine Diskussion. Wenn auch mit blutendem Herzen. Belgien ist toll.
Hat man Ihnen in Gent verübelt, dass Sie weggehen?
Verübelt nicht. Denn ich habe von Anfang an mit offenen Karten gespielt. Auf der anderen Seite habe ich das NTGent, das eine Ruine war, zu einem international tourenden Haus aufgebaut. Es ist so wie bei Herrn Keuner von Bertolt Brecht, der in eine andere Stadt zog: „In der Stadt A. machte man sich mir nützlich; aber in der Stadt B. brauchte man mich.“ In Gent lieben mich alle. Die kommen jetzt auch ohne mich aus.
Für das NTGent schrieben Sie ein „Genter Manifest“. Sie haben nun auch ein „Wiener Manifest“ angekündigt. Gibt es schon eine Art Gerüst?
In meinem Kopf schon. Ich bin ein Freud davon, die Dinge explizit zu machen – für mich selbst. Peter Handke hat gesagt: „Ich schreibe, um mich meiner selbst zu vergewissern.“ Ich beschäftige mich daher mit den Fragen: Warum gibt es ein Festival? Warum heißt es Wiener Festwochen? Nur weil es von der Stadt finanziert wird? Was ist ein Stadtfestival? Beim „Genter Manifest“ war die Frage: Was ist ein Stadttheater? Und wie sollte ein solches Theater funktionieren, damit es offenbleibt? Weil Institutionen immer gefährdet sind, in Bürokratie zu versinken. Hinzu kommt ein Zweites: Wenn ich in große Institutionen – Opernhäuser oder Universitäten zum Beispiel – hineingehe, dann ducke ich mich immer ein bisschen. Vielleicht weil ich aus dem Kleinbürgertum komme. Ich denke mir dann: Die Institution ist übermächtig – und niemand erklärt mir, was mich erwartet. Ich will das für die Festwochen erklären.
Sie selbst sollen sich nicht immer an die Gebote des Manifests gehalten haben.
Okay, das können Sie mir vorhalten. Aber ich hab’ zumindest explizit erklärt, woran ich mich halten will. Und ich hab’ es versucht. Ein Beispiel: Als Regisseur hat mich immer gestört, dass eine Produktion nur ein paar Mal in der Stadt aufgeführt wurde – und dann starb sie, weil es eben nicht mehr Publikum gibt. Das ist weder nachhaltig, noch sinnvoll! Daher war mein Vorsatz: Drei Länder, acht Städte. Bevor das nicht erfüllt ist, wird eine Produktion nicht abgesetzt. Aber vielleicht werden es dann eben nur sieben Städte …
Und was wird konkret im „Wiener Manifest“ stehen?
Das, was wir erreichen wollen. Und wir lassen uns auch daran messen.
Das war nicht sehr konkret.
Ein Festival – ob in Avignon, Edinburgh oder Wien – muss produzieren. Man muss etwas realisieren, das es vorher nicht gab. Es geht darum, dass man nicht nur ein Durchlauferhitzer ist: Eine Produktion, die man in Tokio, Brüssel und New York sehen konnte, ist, verdammt noch einmal, nun auch in Wien zu sehen. Das würde mir als Begründung dafür, warum es die Festwochen geben muss, nicht reichen.
Der Besucher will in erster Linie herausragende Produktionen sehen. Egal, wer sie wo auf die Beine gestellt hat.
Ich bin kein Kulturmanager, sondern Künstler – und als Künstler denkt man von der Produktion her. Natürlich ist es eine wichtige Aufgabe, Produktionen nach Wien zu holen. Und die werden geholt – unabhängig davon, ob sie mir persönlich gefallen oder nicht.
Das hat auch mit einem gewissen positiven Opportunismus zu tun: Man bringt, was die Stadt sehen will. Ein von der öffentlichen Hand finanziertes Festival muss zudem eine diskursive Schärfe haben. Aber es soll auch internationale Ausstrahlung haben – über Produktionen. Die Frage ist, wie man beides miteinander verbinden kann. Was ich nicht möchte, ist ein elitäres Hipster-Programm.
Der Auftrag von Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler lautet ja auch „mehr Publikum“ und das „Erreichen einer breiten Öffentlichkeit“.
Ja, genau, mehr Publikum. Aber das wurde doch schon heuer von Christophe Slagmuylder erfüllt!
In den letzten Jahren gab es fast keine Koproduktionen mehr mit Wiener Theatern. Wollen Sie die Szene künftig mehr einbeziehen?
Mit Stefan Bachmann kommt 2024 ein alter Freund als Direktor ans Burgtheater. Natürlich werden wir zusammenarbeiten – auch mit weiteren Partnern. Ich will aber keine Fake-Koproduktionen, die es immer wieder in der Vergangenheit gab: Dass eine ohnedies geplante Geschichte als Koproduktion ausgegeben wird, um das Festwochen-Programm zu füllen.
Im Gegensatz zu Ihren Vorgängern, die „Non playing captains“ waren, werden Sie selbst inszenieren. Und sich daher das größte Stück vom Budgetkuchen genehmigen?
Natürlich werde ich nicht nur kuratieren, sondern auch etwas machen. Ich glaube, das erwartet man sich von mir. Und ich bin jemand, der mit Stadtgesellschaften arbeitet.
In Gent haben Sie sich zu Beginn dem Genter Altar gewidmet – und die Bürger einbezogen. Wäre ein ähnliches Projekt für Wien denkbar?
Denkbar ist vieles. In Gent habe ich zu Beginn auch „Orest in Mossul“ gemacht. Was mir wichtig ist: Ein Gleichgewicht zwischen global und lokal herzustellen. Natürlich ist in Wien alles enthalten, um die Geschichte der Menschheit zu erzählen. Aber mir wird auch der Balkan wichtig sein. Doch zu Ihrer vorigen Frage: Es wird kein Übergewicht Milo Rau und kein Milo-Rau-Festival geben.
Weltoffen: Milo Rau, 1977 in Bern geboren, studierte u. a. Soziologie in Paris, Zürich und Berlin. Er ist für sein politisches Recherchetheater an Brennpunkten bekannt. Im Herbst 2018 übernahm er das NTGent. Nun übersiedelt er mit seiner Familie nach Wien
Heimatkritisch: Milo Rau fragte sich, ob er das Zürcher Schauspielhaus will – und antwortete mit einem Nein. Denn: „Die Schweiz ist eine sehr konsensorientierte, sehr reiche Gesellschaft, eine fast schon theaterfeindliche Gesellschaft. Sie lässt Auseinandersetzung nur in geringem Maße zu“
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