Ach, was für ein Spaß! Show statt Anliegen! Alle waren vermummt, die gestrickten Sturmhauben stammten vom Designer-Label Wendy & Jim. Danach zog Milo Rau das gute, rote Stück zur Heinzelmännchenmütze hoch – und machte eifrig Selfies.
Eine bunte Inszenierung als peinlich hohles Manifest: Der Festwochenpräsident ist seit zwei Jahrzehnten derselbe (der ehemalige SPÖ-Kunstminister und Banker Rudolf Scholten), aber das Festival hinterfragt die Strukturen der Demokratie.
Formal proklamiert wird die Freie Republik bei der traditionellen Eröffnung, heuer am 17. Mai. Der 100-köpfige „Rat der Republik“ erklärt sich im Rahmen der aktivistischen Zeremonie zum „Souverän“. In einer geheimen Wahl hat das Volk, also Milo Rau, bereits die Promi-Mitglieder auserkoren, darunter Annie Ernaux, Navid Kermani, Kirill Serebrennikow und Elfriede Jelinek. Hinzu kommen 69 Bürgerinnen, sicherlich ebenso heterogen zusammengesetzt wie die Gruppe der 31 Intellektuellen. Auftreten werden am Rathausplatz „ultrageile Bands“, darunter die Pussy Riots, und Voodoo Jürgens. „Die Freie Republik muss man wild beginnen – und das werden wir tun“, posaunte Kurator Herwig Zamernik (alias Fuzzman).
Wie jeder Operettenstaat braucht auch die Freie Republik eine Verfassung. Die muss aber erst erarbeitet werden – im Volkskundemuseum als „Haus der Republik“ (in Zusammenarbeit mit dem Aktivismuscamp der Klima Biennale Wien). Jeweils am Dienstag und Mittwoch sind „Anhörungstage“, zur Diskussion stehen Themen wie Finanzierung, Cancel Culture und Nachhaltigkeit.
Neben der Exekutive und Legislative wird es auch die Judikative geben – in Form der „Wiener Prozesse“. Das Konzept stammt von Milo Rau, als Dramaturg fungiert – neben anderen – Robert Misik, als Konsulent der kürzlich nicht rechtskräftig verurteilte Kabarettist Florian Scheuba.
Heuchelei?
Irmgard Griss oder die einstige Justizministerin Maria Berger fungieren als Richterinnen, als Ankläger setzt sich Anwalt Alfred Noll in Szene. Am zweiten Wochenende (7. bis 9. Juni) soll erörtert werden, ob die FPÖ nicht mit sofortiger Wirkung für „illegal“ erklärt werden müsse. Aber auch sich selbst stellt das Festival infrage: „Legt die Kunst den Finger in Wunden oder ist sie nur schicke Heuchelei der Saturierten?“ Die Strafausmaße werden am letzten Tag des Festivals, am 23. Juni, verkündet – im Rahmen der „Abschlusskundgebung“ zusammen mit der Verfassung, „Wiener Erklärung“ genannt, die von da an als die Basis für die Programmierung des Festivals dienen soll.
Das Ganze erinnert an das wirklich ernsthafte „European Balcony Project“ (u. a. mit Robert Menasse) im November 2018, als von über 100 Balkonen die Europäische Republik ausgerufen wurde. Und es erinnert auch an das für den Nestroy nominierte Schauprozess-Projekt „Justitia! Identity Cases“ von Gin Müller und anderen.
Insgesamt gibt es heuer 46 Produktionen, für 30 benötigt man Karten, aufgelegt wurden deren 45.000. Neben den Highlights in den Bereichen Theater, Performance und Oper (siehe Kasten) gibt es auch eine Ausstellung („Genossin Sonne“) in der Kunsthalle, eine Akademie zur Zweiten Moderne und die Komponistinnen sowie eine Lesereihe als Hommage zum 150. Geburtstag von Karl Kraus. Auch wenn im Programmbuch mehrfach das „War Requiem“ angekündigt ist: Das Konzert von Teodor Currentzis hat Milo Rau nach Protest von Oksana Lyniv abgesagt. Einen Einleger hielt man nicht für zweckdienlich.
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