Künstler ausladen: Antisemitismus-Debatte überschattet Wiener Festwochen
Die Wiener Festwochen werden zwar erst in zwei Monaten eröffnet, aber sie müssen sich im Vorfeld bereits zum zweiten Mal zu einem Skandal zu rechtfertigen: Aktuell geht es um Antisemitismusvorwürfe gegen die französische Schriftstellerin Annie Ernaux und den griechischen Ex-Finanzminister Yanis Varoufakis.
Ernaux unterstützt die antisemitische Israelboykott-Kampagne BDS, wiewohl sie selbst kein Mitglied ist. Die Organisation hat sich in Teilen gegen das Existenzrecht Israels ausgesprochen. Varoufakis hat sich bisher geweigert, den Terrorangriff der Hamas vom 7. Oktober zu verurteilen. Bei einem Auftritt in Frankfurt kritisierte er unter anderem die Art und Weise, wie Israel mit Hilfe der Alliierten gegründet wurde. "Zion, ein Land ohne Volk, für ein Volk ohne Land."
"Vorwand der Kunst- und Meinungsfreiheit"
Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) wirft dem Festival vor, "Antisemitismus über die Hintertür" zuzulassen, wie er in einem Statement am Freitag erklärte: "Für mich ist es unerträglich, dass unter dem Vorwand der Kunst- und Meinungsfreiheit, so wie das schon bei der Documenta in Kassel passiert ist, der Antisemitismus über die Hintertür zu uns ins Land getragen wird." Die Auftritte von Ernaux und Varoufakis seien skandalös, befindet Sobotka. "Ernaux ist eine deklarierte Unterstützerin der Israelboykott-Kampagne BDS, die der österreichische Nationalrat bereits am 27. Februar 2020 einstimmig (!) als antisemitisch klassifiziert und verurteilt hat."
Es sei "unsere historische Verantwortung nicht zuzulassen, dass Menschen, die einen derartig verzerrten moralischen Kompass haben, bei einer der größten Kulturveranstaltungen des Landes eine Bühne bekommen." Und: "Als Nationalratspräsident der Republik Österreich fordere ich den Intendanten der Wiener Festwochen auf, diese Herrschaften schleunigst wieder auszuladen."
Die Festwochen proklamieren am 17. Mai die "Freie Republik".
Ein 100-köpfiger „Rat der Republik“ erklärt sich im Rahmen der aktivistischen Zeremonie zum „Souverän“.
Neben Annie Ernaux und Yannis Varoufakis befinden sich darunter auch russische Regisseur Kirill Serebrennikow und Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek.
Hinzu kommen 69 Bürgerinnen.
Rau verteidigt Einladungen
Festwochen-Chef Milo Rau verteidigte in einem Interview im Standard seine Einladungspolitik. Zwar stimme es, dass Ernaux einige Petitionen unterschrieben habe, "die auch von BDS-Mitgliedern unterstützt wurden". "Man muss allerdings bedenken, dass Ernaux Französin ist. Dort hat BDS in der Israel-Palästina-Debatte die Diskurshoheit". In Österreich und Deutschland habe eher die politische Rechte das Thema an sich gezogen". Varoufakis hatte unter anderem eine Petition unterschrieben, die Israel "Völkermord" vorwirft. "Auch ich wurde gefragt, ob ich sie unterschreibe, sagt Rau. "Aber ist es illegal oder antisemitisch, sie zu unterschreiben? Nein. Das Prinzip der Demokratie und der Meinungsfreiheit muss bestehen bleiben. Sonst können wir gar nicht mehr miteinander diskutieren."
Ein Kreml-Sympathisant vertrieb beinahe das ukrainische Orchester
Für Kontroversen sorgte auch die Programmierung des Dirigenten Teodor Currentzis, dem Agitation für den Kreml vorgeworfen wir. Daraufhin stellte die ukrainische Dirigentin Oksana Lyniv, in den Raum ihr Festwochenkonzert im Konzerthaus ab („Babyn Yar“ des Ukrainers Jevhen Stankovych): „Ich kann es gegenüber den fast 150 Musikerinnen und Musikern, die aus dem Krieg in der Ukraine nach Wien reisen, nicht verantworten, in einem Kontext mit Teodor Currentzis gestellt zu werden und eventuell sogar an einem Whitewashing teilzunehmen." Die Wiener Festwochen luden Currentzis daraufhin wieder aus. Lyniv begrüßte die Entscheidung der Festwochen und kündigte überdies an, dass für die Wiener Aufführung des Requiems nun zusätzlich ein zeitgenössisches ukrainisches Stück von einem Schüler des Komponisten Yevhen Stankovich komponiert werden.
(Erratum: In einer ersten Version stand zu lesen, Lyniv habe ihr Konzert abgesagt. Dass Currentzis ausgeladen wurde, fehlte im Ursprungstext. Das veränderte den Kontext und wurde hiermit ergänzt.)
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