Person 1: Yanis Varoufakis
Kaum ein ehemaliger griechischer Finanzminister taucht nach seiner Amtszeit noch in den internationalen Medien auf. Yanis Varoufakis schon, und zuletzt sogar stark: Gegen ihn verhängte Deutschland zuletzt sogar ein Einreise- und Auftrittsverbot. Der Grund ist Varoufakis' Position im Gaza-Konflikt: Varoufakis hat eine Petition für den Ausschluss Israels von der Venedig-Biennale unterschrieben, im Text wird Israel „Völkermord“ vorgeworfen, der Terrorangriff der Hamas vom 7. Oktober dagegen völlig verschwiegen. Nun rief seine Teilnahme an einem "Palästina-Kongress" die deutschen Behörden auf den Plan, die die Verbote verhängten, "um antisemitische und israelfeindliche Propaganda bei der Veranstaltung zu verhindern", wie die Nachrichtenagentur AFP berichtete.
Person 2: Annie Ernaux
Die Literaturnobelpreisträgerin Annie Ernaux macht seit Jahren mit ihrer Israel-Kritik von sich reden. Das ist auch schon in Wien angekommen. „Ernaux ist nicht nur bekennende Unterstützerin der BDS-Bewegung. Sie hat sich auch 2019 an Aufrufen zum Boykott des in Tel Aviv ausgetragenen Eurovision Song Contest beteiligt, die Begnadigung Georges Abdallahs gefordert, der 1982 einen amerikanischen Offizier und einen israelischen Diplomaten getötet hat, und 2021 einen Brief unterstützt, der Israel der Apartheid bezichtigt“, hieß es in dem Resolutionsantrag, den alle Parteien einschließlich der SPÖ unterstützt haben. Dennoch ist auch sie im Rat der Republik.
Person 3: Milo Rau
Eingetütet wurde das alles vom neuen Intendanten der Wiener Festwochen, Milo Rau. Bei ihm fließen Kunst und Politik existenzell ineinander, wie er kürzlich in einem Buch festhielt. Entscheidend ist hier eine Sichtweise, die er mit weiten Teilen der Kulturbranche dort, wo sie derzeit avantgardistisch sein will, teilt: dass nämlich ein Unten gegen ein Oben immer moralisch im Recht ist. Das kann man umlegen auf den Kapitalismus (was Rau auch tut), das kann man aber auch umlegen auf alle Konflikte dieser Welt. Und in der Gaza/Israel-Gemengelage kommt man dann zu einem Ergebnis, dass man mit vielen, vielen Menschen auf der Welt teilt: Dass nämlich die, in dieser Sicht, unterdrückten Palästinenser gegen die, in dieser Sicht, unterdrückenden Israelis im Recht seien. Hier fängt dann die ganz große Problematik an, und die ist folgende:
Diskurswegweiser: Postkolonialismus und Antisemitismus
In der Kultur ist seit Jahren der Postkolonialismus en vogue. Der vertritt, dass nicht mehr nur die europäischen und westlichen Stimmen und Positionen abgebildet werden sollen, also die Positionen jener, die einst im Kolonialismus die Ausbeuter waren und bis heute, in dieser Sichtweise, den Diskurs mit ihrem Weltbild kapern. Sondern dass zunehmend vielfältige Stimmen aus jenen Gebieten nach vorne geholt werden, die einst unterdrückt wurden.
So leicht, so einfach, so lohnend. Doch man hat sich das alles etwas zu leicht vorgestellt, wie die documenta und die Berlinale und sogar die Oscars erfahren mussten. Denn viele dieser Stimmen divergieren in einem für Europe definierenden Aspekt von dem, was hierzulande als Diskurslinien in den Sand gezogen wurden: im Umgang mit Israel. Aus postkolonialer Sicht ist hier die Lage klar, es gibt ein geknechtetes Volk, die Palästinenser, und einen Unterdrücker, Israel, der mit Hilfe der alten Kolonialmächte agiert.
Diese Position ist in der Debatte als gegeben angesehen, wer sie anzweifelt, wird aus dem Diskurs verstoßen. Dass diese Position den weltweiten, aber auch den österreichischen und europäischen, den linken, rechten und muslimischen Antisemitismus abholt, wird hier in Kauf genommen.
Auch Milo Rau will den Ungehörten kulturell eine Stimme geben - und hat sich so die Antisemitismusdebatte eingetreten.
Person 4: Die Kulturstadträtin
Auftritt Veronika Kaup-Hasler. Die Wiener Kulturstadträtin sonnt sich in ihrer Besetzungspolitik - Volkstheater, Kunsthalle, Wiener Festwochen - gerne in den gerade modischen Diskursen. Und hat da mit Milo Rau einen guten Fang gemacht: Der ist in der Blase, die postkolonial zu sprechen weiß, eine große Nummer. Doch mit der aufgekommenen Debatte hat sie zu kämpfen. Selbst ihre eigene Partei unterschrieb den Resultionsantrag gegen Ernaux und Varoufakis. Nun sagt Kaup-Hasler aus der Defensive heraus, dass für "Antisemitismus bei den Wiener Festwochen kein Platz" sei und dass es keine "Gesinnungsprüfungen jedweder Art" geben dürfte. Letzteres ist natürlich zumindest weltfremd, ganz viele Positionen haben auch in einem Kulturbetrieb, der "Debattenfelder" offen halten will, nichts verloren. Dass Deutschland so scharfe Maßnahmen gegen Varoufakis verhängt, schwächt die - auch von Rau vorgebrachte - Behauptung, man müsse doch mit allen reden. Und die Debatte rückt die Festwochen, die nach vielen schwierigen Jahren dringend Beruhigung und Zugänglichkeit gebraucht hätten, in ein Eck, das ihnen ganz schlecht bekommt.
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