PRO
Die Wiener Festwochen importieren etwas nach Wien, das hier niemand braucht: Jene Art von (alt-)linker Israel-Kritik nämlich, die dermaßen einseitig ist, dass sie im hiesigen Kontext an Antisemitismus anstreift. Das ist international als Begleiterscheinung zum „Postkolonialismus“ en vogue. Die Festwochen nun luden in einen sogenannten „Rat der Republik“, der eine „Freie Republik Wien“ beraten soll, den griechischen Ex-Finanzminister Yanis Varoufakis, Literatur-Nobelpreisträgerin Annie Ernaux und den Soziologen Jean Ziegler. Um ersteren war zuletzt in Deutschland eine Farce entbrannt, er sollte nicht einreisen und auftreten dürfen.
Reden wollte er auf einem „Palästina“-Kongress, was passt, weil Varoufakis sich derart auf die Seite der Palästinenser stellt, dass man das nur auf eine Weise deuten kann. Ernaux wiederum ist dokumentiert auf Tuchfühlung mit der antisemitischen Bewegung BDS gegangen.
Alles in allem bildet das Positionen ab, die avantgardistisch tun – die Schwächeren müssen gehört werden! –, aber nur Altbekanntes in neuen Diskursschläuchen servieren. Nämlich eine Gelegenheit, im ideologischen Safe Space Gleichgesinnter Israel anzuprangern. Eh ist Kritik hier nicht verboten (was immer im Jammerton beklagt wird). Einseitige ideologische Schlagseiten verarmen jedoch den Diskurs. Und man holt mit diesen jenen Antisemitismus ab, den es weltweit, auch in Österreich, im Übermaß gibt. Den Festwochen steht das ganz, ganz schlecht. Man wäre gut beraten, den Rat neu aufzustellen.
Georg Leyrer, Ressortleiter Kultur
CONTRA
Der Vorwurf des Antisemitismus richtet sich gegen Annie Ernaux, die die Israelboykott-Kampagne BDS unterstützt, und gegen Yanis Varoufakis, der eine Petition für den Ausschluss Israels von der Venedig-Biennale unterschrieben hat. In Deutschland wurde gegen den Ex-Minister zuletzt ein Einreiseverbot für einen Palästina-Kongress verhängt (an dem auch jüdische Aktivisten teilnahmen).
Ernaux und Varoufakis sind, so wie die anderen Ehrengäste, geladen wegen ihres demokratiepolitischen, aktivistischen und progressiven Engagements – Ernaux als Vorkämpferin für Gleichberechtigung, Varoufakis als Gründer der paneuropäischen Demokratiebewegung DiEM25 –, nicht wegen ihrer durchaus streitbaren Positionen zum Krieg in Gaza. Sie darauf zu reduzieren, wäre genauso falsch, wie sie aufgrund dieser Meinungen auszuladen.
Zumal der Krieg bei den Wiener Festwochen wohl kaum das zentrale Thema sein wird. Und sollte er es doch sein, dann hat die „Freie Republik Wien“ die Chance, die Ansprüche, die sie an sich selbst stellt, auch zu erfüllen: Ein „Ort der Debatten“ will sie sein, ein „Experimentierfeld“, „grenzenlos“. Es steht außer Frage, dass menschenverachtendes Gedankengut wie Antisemitismus dabei nicht verhandelt wird. Doch Kritik am Staat Israel, an der Regierung und der Verhältnismäßigkeit der Kriegsführung muss möglich sein (über die Sinnhaftigkeit der Art und Weise, wie sie Ernaux und Varoufakis geäußert haben, kann ebenso gestritten werden). Für Debatten muss man Widerspruch zulassen, nicht ausschließen.
Caroline Ferstl, Ressort Außenpolitik
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