Schwerer trifft die Hamas die Ermordung von Mohammed Deif: Deif galt als Kopf hinter Anschlägen und Terror und hinter dem Tunnelsystem der Hamas im Gazastreifen. Mehrmals entging er Anschlägen, lebte zuletzt fast nur mehr im Untergrund. Er soll am 13. Juli, als Israel einen Luftangriff auf Khan Younis flog und ein Flüchtlingslager traf, unter den Opfern gewesen sein – das behauptete Israel bereits vor Wochen. Nun hat Israel seinen Tod bestätigt.
"Die Hamas kommt mit der Ermordung von Anführern gut klar, hat es in der Vergangenheit immer wieder geschafft, sich danach wieder zu rekonstruieren", sagt Fabian Hinz, Wissenschaftlicher Mitarbeiter für Verteidigungs- und Militäranalyse beim International Institute for Strategic Studies (IISS) in Berlin. Doch der Tod von Daif dürfte einiges verändern: "Er galt als das militärische Mastermind hinter den Hamas. Leute mit solchen Erfahrungen und Netzwerken zu ersetzen, ist schwierig."
Dass der Anschlag auf Haniyeh in Teheran stattfinden konnte, ist eine katastrophale Blamage für den Iran und die politische Führung, die sich gern als unbesiegbar darstellt. Zum Versagen und den Lücken des iranischen Sicherheitsapparats hat man sich bisher nicht geäußert. Aus arabischen Kreisen heißt es, unter den islamischen Verbündeten des Iran gab es Kritik am Regime, Vertrauen schwindet.
Die iranische Führung dürfte sich gezwungen sehen, zu reagieren, so Hinz, auch aus Eigeninteresse. "Die iranische Führung muss sich die Frage stellen: Wenn Israel in Teheran den Anführer der Hamas umbringen kann, was kommt als Nächstes? Das wird die Entscheidungsfindung beeinflussen."
Der Iran, die Hisbollah und die Hamas haben mit Vergeltung gedroht. Rache sei Pflicht, so der Oberste Führer Ayatollah Ali Khamenei: "Es wird eine harte Bestrafung geben."
Laut Hinz werden die jüngsten Ereignisse in der Region nicht als einzelne Tat, sondern als andauernde Veränderung des "Abschreckungsverhältnisses" gesehen. Bis zum 7. Oktober sei dieses "relativ klar und stabil gewesen", durch den Angriff der Hamas sei es durcheinandergewirbelt worden – und werde jetzt neu ausgehandelt. Hinz spricht von einem "Präzedenzfall": "Israel könnte jetzt an der Eskalationsspirale drehen und weitere militärische Aktionen im Iran durchführen. Wenn der Iran jetzt nachgibt, sind neue Regeln etabliert."
Das iranische Regime ist geschwächt angesichts der wirtschaftlichen Lage im Land und des Unmuts vieler Iraner gegenüber dem System. Auch der plötzliche Tod des ehemaligen Präsidenten Ebrahim Raisi trug zu Unsicherheit und Vertrauensverlust bei, hat dem Regime an Ansehen gekostet. Ein offener Krieg zwischen Israel und dem Iran, der auch die USA und Verbündete Teherans betreffen würde, gilt aus diesen innenpolitischen Gründen bei vielen Experten nach wie vor als unwahrscheinlich.
Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah sieht nach der Tötung seines Militärkommandanten sowie von Hamas-Chef Haniyeh eine neue Phase der Kampfhandlungen im Nahen Osten. "Wir befinden uns an allen Fronten in einem offenen Kampf, der in eine neue Phase eingetreten ist", sagte der Hisbollah-Generalsekretär bei der Beerdigung von Kommandant Muhsin Fuad Shukr, der von Israels Militär am Dienstagabend in einem Vorort von Beirut gezielt getötet wurde, per Videobotschaft. Der Feind (Israel) müsse sich auf Zorn und Rache einstellen und "weinen, weil ihr nicht wisst, welche roten Linien ihr überschritten habt". Die Tötung Haniyehs während eines Besuchs in Teheran sei ein "Angriff auf die Ehre" des Irans, sagte Nasrallah.
Das hängt davon ab, wer auf Haniyeh folgt. Als wahrscheinlicher Nachfolger gilt Khaled Meshaal, ehemaliger politischer Führer der Hamas. International wurde er bekannt, als ihm israelische Agenten auf einer Straße in Amman Gift injizierten. Er vertritt die Hamas bei Treffen mit ausländischen Regierungen. "Er fällt in eine ähnliche Kategorie wie Haniyeh", so Hinz. Eine Fortsetzung der Verhandlungen ist also nicht ausgeschlossen.
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