Denn die Lage ist so heikel wie noch niemals zuvor in diesem Krieg. Er begann am 7. Oktober 2023 mit einem grausamen Massaker der militant islamistischen Hamas-Miliz aus dem Gazastreifen und der Ermordung von 1.200 Israelis im Süden. Im Norden begleiteten dann tagtägliche Raketenangriffe der mit dem Iran verbündeten Hisbollah die anschließende Invasion Gazas durch Israel.
Gewollt oder ungewollt: Dieser Abnutzungskrieg längs der libanesischen Grenze droht jetzt auszuweiten. Mit der Tötung von 12 Kindern auf einem Fußballplatz ist ein Szenario erreicht, das beide Seiten vermeiden wollten. Darum versucht die Hisbollah, die Verantwortung von sich zu weisen. Auch die Schiitenmiliz weiß, wie unglaubhaft ihr Dementi ist.
Nur sie verfügt über die schweren Falaq-1 Raketen. Doch will sie die Form wahren. Den Angriff als tragisches Unglück aussehen lassen.
Syrisches Territorium
Nicht allein, weil sie die Folgen fürchtet. Im Nachhinein ist dieser Angriff der Hisbollah mehr als peinlich: Denn nach ihrer eigenen Auffassung hat die Miliz im drusischen Maschdal-Schams syrische Staatsbürger auf den 1981 von Israel annektierten Golan-Höhen - also syrischem Territorium - angegriffen.
Im Dilemma steckt aber auch Netanjahu. Seine Regierung macht in Jerusalem weiter wie gehabt. Was die zum großen Teil nicht evakuierte Grenzbevölkerung im Norden nach neun Kriegsmonaten unter Beschuss nicht länger hinnehmen will. „Diese Regierung muss der Hisbollah einen Todesschlag versetzen oder abtreten“, erklärte der Bürgermeister von Kiriat Schmona, Avichai Stern, am Montag nicht zum ersten Mal.
Kommen hinzu die Drusen in Israel. Sie äußern jetzt verstärkt ihre Solidarität mit den Drusen auf dem Golan. In Israel leben sie seit der Staatsgründung 1948 als loyale Bürger. Mit allen Pflichten, auch der Wehrpflicht. Aber auch mit einem langjährigen Gefühl der sozialen Benachteiligung. Unter dem ultra-rechten Netanjahu-Kabinett in den letzten zwei Jahren hat es noch zugenommen. Bei der Beerdigung am Sonntag kamen Rufe auf, die die Abschaffung des neuen Nationalstaatsgesetzes forderten. Es betont den jüdischen Charakter Israels, ohne die Rechte der Drusen gleichzustellen. „Wir haben die gleichen Pflichten, nicht aber gleiche Rechte“, bekräftigte am Sonntag einer der Notabeln.
Harte Reaktion
Auch Israels Drusen fordern eine harte Reaktion Israels. Aber gegen wen? Gegen die Hisbollah? Oder gegen den Staat Libanon? Israels militärische Angriffe beschränkten sich bislang auf Einrichtungen und Kämpfer der Hisbollah. Jetzt werden Forderungen lauter, diese Einschränkung aufzugeben. „Nur harte Angriffe gegen die Infrastruktur des Libanon werden den inneren Druck auf die Hisbollah verstärken und sie zwingen, den Kampf einzustellen“, meinte Ex-General Giora Eiland am Montag.
Auf der Beerdigung der 12 Kinder kam es auch zu Rufen an die libanesischen Drusen Solidarität zu zeigen. Sie haben bislang den offenen Konflikt mit der starken Hisbollah vermieden. Werden Drusen, in welchem Staat auch immer, direkt angegriffen, halten sie zusammen.
Netanjahu weiß, dass der Iran den bisherigen Abnutzungskrieg im Norden Israels für sich nutzen, eine regionale Ausweitung des Krieges hingegen vermeiden will. Netanjahus Interessen kann es dienlich sein, wenn die Aufmerksamkeit von seinem Versagen im Süden abgelenkt wird. Auf den Norden.
Ein regionaler Krieg würde Israel aber international und vor allem in den USA Probleme bringen. So warnt die Zeitung Haaretz: „Israel verwickelt sich in eine Eskalation im Norden, ohne die Front im Süden erfolgreich stabilisiert zu haben.“
Zwei Punkte sind es, die Netanjahu durch Hinauszögern einer Entscheidung vor sich herschiebt. Durch die Unfähigkeit seines Kabinetts, einen politischen Kompromiss einzugehen. Was eine Regelung für eine neue Verwaltung des Gazastreifens nach dem Krieg verhindert.
Seine Regierung tut sich auch schwer mit einem Kompromiss, der alle israelischen Geiseln aus dem Hamas-Gewahrsam befreien könnte. Im Gegenzug für ein Kampfende im Gazastreifen. Solange diese Entscheidungen im Süden ausstehen, wird auch Israels Norden nicht zur Ruhe kommen.
Kommentare