Wie es nach dem Drohnen-Mord für die Hamas weitergehen dürfte

Wie es nach dem Drohnen-Mord für die Hamas weitergehen dürfte
Nachdem der Vizechef der Hamas im Libanon bei einem Drohnenangriff getötet wurde, wachsen die Sorgen, dass die Hisbollah in den Krieg einsteigt. Warum das unwahrscheinlich ist.

Die Explosion erschütterte am Dienstagabend das Dahiye-Viertel in Beirut. Sie riss Löcher in die Wand des Gebäudes, hinter der sich ein Büro der palästinensischen Hamas befand. Saleh al-Arouri, der Vizechef der Terrororganisation, starb ebenso wie zwei seiner engsten Mitarbeiter. Augenzeugen berichten von einer Autobombe, andere von Lenkflugkörpern.

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Saleh al-Arouri gehörte zum Führungstrio der Hamas. Er gilt zusammen mit Jechije Sinwar, dem Chef der Hamas-Regierung im Gazastreifen, als Architekt des blutigen Überfalls auf Israel am 7. Oktober, bei dem 1.200 Zivilisten massakriert wurden. Arouri und der ebenfalls getötete Samir Findi knüpften die Beziehungen zur iranischen Regierung und deren libanesischen Verbündeten, der Schiitenmiliz Hisbollah. Sie ist mit ihren Militärberatern und wegen der Lieferung von Langstrecken-Raketen für die Hamas entscheidend wichtig.

Israel übernahm offiziell keine Verantwortung, doch betonte ein Regierungssprecher: "Jedem sollte klar sein, dass dies kein Angriff auf den Staat Libanon war." So präzise der Anschlag durchgeführt wurde, so ungenau lassen sich seine möglichen Folgen einschätzen.

Was macht die Hisbollah?

Der Bezirk Dahiya ist die Hisbollah-Hochburg in Beirut. Zugang haben nur Personen mit Hisbollah-Mitgliedsausweis oder Sondererlaubnis. Nach dem Libanonkrieg 2006 war das Viertel fast vollständig zerstört – wie heute der Gazastreifen. Denn wie die Hamas versteckt sich auch die Hisbollah hinter der Zivilbevölkerung. Aus Sicht der israelischen Armee werden zivile Einrichtungen dadurch zu militärischen. So steht es in ihrer „Dahiya-Doktrin“.

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Nach dem Anschlag kündigte die Hisbollah Reaktionen an, schließlich wurden ihre Gäste in ihrem Zuständigkeitsgebiet getötet. Darum könnte sie ihren ohnehin seit Monaten geführten Raketenbeschuss gegen Israel im Süden verschärfen. 

Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah sprach am Mittwochabend von einem „eklatanten israelischen Angriff“. Die Tötung sei "ein großes, gefährliches Verbrechen, zu dem wir nicht schweigen können". Und: Ein "Krieg mit uns wird sehr kostspielig sein", jeder, der Krieg gegen den Libanon führe, werde es "bereuen", da die Hisbollah "bis zum Ende kämpfen" werde, sagte er. Wenn Israel gegen den Libanon Krieg führe, "wird es keine Obergrenzen für den Kampf der Hisbollah geben". 

Doch dürfte das grundlegende Interesse der Hisbollah weiter bestehen: Die libanesische Bevölkerung soll nicht in einen neuen Krieg mit Israel hineingezogen werden. Der könnte den schon jetzt wirtschaftlich am Boden liegenden Libanon schließlich vollends zerstören. Nasrallah kündigte an, sich am Freitag erneut an die Öffentlichkeit wenden zu wollen.

Zorn im Westjordanland

Hamas-Vizechef Arouri soll entscheidend für die Beziehungen zu den Hamas-Untergrund-Zellen im israelisch besetzten Westjordanland gewesen sein. Auch wenn sie offiziell nicht mit der Hamas verbündet ist, rief die im Westjordanland zuständige Palästinensische Autonomiebehörde zu einem Generalstreik auf. An den bekannten Brennpunkten in den besetzten Gebieten sind in den nächsten Tagen die üblichen Unruhen zu erwarten.

Wie es nach dem Drohnen-Mord für die Hamas weitergehen dürfte

Der in Beirut getötete Hamas-Vizechef der Terrororganisation Hamas, Saleh al-Arouri.

Die Hamas im Gazastreifen reagierte bereits in der Nacht zum Mittwoch mit verstärktem Raketenbeschuss auf Israel. Der hat in den letzten Kriegswochen spürbar nachgelassen. Es mangelt nicht an unterirdisch gelagerten Raketen, jedoch an oberirdischen Abschussrampen.

Ohnehin dürfte Jechije Sinwar als Gaza-Chef der Hamas den Tod Arouris mit gemischten Gefühlen aufnehmen: Auch er steht auf der Abschussliste Israels. Doch räumte der Anschlag auch seinen stärksten Rivalen im Kampf um die Hamas-Führung aus dem Weg. Wobei sich Sinwar jetzt um sein eigenes Überleben kümmern muss, wie um das der Hamas.

Wie es nach dem Drohnen-Mord für die Hamas weitergehen dürfte

Jechije Sinwar, Kopf der Hamas-Regierung auf dem Gazastreifen und nach dem Tod Saleh al-Arouris zweitmächtigster Mann der Terrororganisation.

Fatah-Schulterschluss?

So häufen sich Spekulationen um einen weiteren Versuch, eine „historische Aussöhnung“ zwischen seit Jahrzehnten aufs Blut verfeindeten Rivalen herbeizuführen: Der Hamas und der säkularen palästinensischen Fatah-Organisation im Westjordanland. Sollte es dazu kommen, könnte die Hamas sich ein politisches Mitspracherecht nach dem Krieg sichern.

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Bei einem Schulterschluss müsste die Hamas aber zumindest auf dem Papier von der Fatah geschlossene internationale Abkommen akzeptieren. Unter anderem die von den Terroristen einst blutig bekämpften Oslo-Abkommen mit Israel. Jeder Verständigungsversuch zwischen Hamas und Fatah scheiterte in der Vergangenheit an dieser Weigerung. Dabei wäre eine Zustimmung der Hamas nicht unmöglich. Doch wäre die Hamas danach nicht mehr die Hamas.

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