Palästinenser, aber Feinde der Hamas: Wer ist die Fatah?
Ihr Wappen zieren Maschinengewehre, sie bildeten einst die RAF aus - und doch gilt die Fatah um Präsident Mahmoud Abbas heute als gemäßigte Palästinenser-Fraktion.
Der Wunsch nach Unabhängigkeit und der Traum eines eigenen Staates eint fast alle Palästinenser. Wie dieser Staat aussehen soll, mit welchen Mitteln man für ihn zu kämpfen bereit ist und ob man daneben Israel als eigenständigen Staat akzeptiert, darüber streiten die vielen, unterschiedlichen palästinensischen Organisationen dagegen seit mehr als 70 Jahren.
In dieser Zeit kristallisierten sich zwei führende politische Fraktionen heraus: Fatah und Hamas. Während die Fatah seit den 1960er-Jahren im politischen Palästina dominiert, gewann die radikal-islamistische Hamas seit der Jahrtausendwende an Einfluss. Seit 2007 regiert die Hamas den Gazastreifen im Südwesten Israels, die Fatah dagegen die palästinensischen Autonomiegebiete im Westjordanland.
Die Hamas zeigte am 7. Oktober bei dem beispiellosen Großangriff auf israelisches Staatsgebiet erneut, dass Morde an Zivilisten für sie nur ein Mittel zum Zweck sind. Fatah-Chef und Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas verurteilte dagegen am Sonntagabend erstmals seit den Angriffen den Hamas-Terror - seine Fraktion steht heute grundsätzlich dafür ein, auf friedlichem Wege ein unabhängiges Palästina zu erreichen.
In diesem Artikel lesen Sie:
Einen Überblick über die Geschichte und Ziele der Fatah
Warum die Organisation den Gazastreifen an die Hamas verlor
Wer der Chef der Fatah ist und wer die Organisation finanziert
Die Geschichte der Fatah ist eng mit Jassir Arafat verbunden. Der spätere Palästinenserpräsident und Friedensnobelpreisträger gründete die Organisation 1959 im Exil im Emirat Kuwait als bewaffnete, sozialistische Guerilla-Fraktion mit dem Ziel der "Ausrottung der ökonomischen, politischen, militärischen und kulturellen Existenz des Zionismus".
Jahrzehnte danach sollte Arafat den Friedensnobelpreis gewinnen, aber dazu später mehr.
Was der Name Fatah bedeutet
Das Wort Fatah bedeutet auf Arabisch "Eroberung" und dient gleichzeitig als Kurzform des ausgeschriebenen Namens "Bewegung zur nationalen Befreiung Palästinas". Gemeinsam mit dem Wappen, auf dem sich zwei Maschinengewehre auf gelbem Grund kreuzen, stellt die Organisation damit sofort klar, worum es ihr einst ging: Um den bewaffneten Kampf gegen den Staat Israel.
In den 1960er-Jahren galt die Fatah als Terrororganisation. Unter Arafats Leitung agierte sie vor allem von palästinensischen Flüchtlingslagern in Jordanien aus und verübte regelmäßig Terroranschläge in Israel. Als die israelische Armee 1970 in der Schlacht von Karame eines dieser Lager zerstörte, erlitt sie schwere Verluste beim Kampf gegen die Fatah-Kämpfer, denen es zudem gelang, ihren Anführer Arafat in Sicherheit zu bringen.
Diesen kleinen Sieg verkaufte die Organisation als ersten militärischen Erfolg Palästinas im Kampf gegen Israel - und nahm fortan eine Führungsrolle in der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) ein, dem Dachverband palästinensischer Unabhängigkeitsbewegungen. Bis heute ist die Fatah innerhalb der PLO de facto die mächtigste Fraktion.
Die Fatah bildete RAF-Terroristen aus
Kurz nach der Schlacht von Karame reisten führende Mitglieder der linken, deutschen Terrororganisation Rote Arme Fraktion (RAF) nach Jordanien, darunter Andreas Baader und Ulrike Meinhof. Dort durchliefen die Deutschen eine mehrwöchige Kampfausbildung durch Fatah-Mitglieder. Es war das erste Mal, dass eine Terrorgruppe eine andere, ausländische, ausbildete.
Noch im selben Jahr brach die Fatah einen Aufstand gegen das jordanische Königshaus vom Zaun, das die Palästinenser bis dahin eigentlich toleriert hatte. Der Putsch scheiterte und die Fatah-Kämpfer wurden aus dem Land vertrieben. In den folgenden Jahren hatte die Organisation keinen festen Sitz mehr, die Führung um Jassir Arafat blieb jedoch meist in Tunesien.
Friedensverhandlungen mit Israel
Mehr als zwanzig Jahre später begann die Dachorganisation PLO unter Führung der Fatah, geheime Friedensverhandlungen mit Israel zu führen. Im September 1993 traf sich Jassir Arafat schließlich mit dem damaligen israelischen Premierminister Jitzchak Rabin in Oslo. Die Gespräche sollten in die Geschichte eingehen - und den Konflikt bis heute prägen.
Zum ersten Mal erkannten beide Seiten einander offiziell an: Israel die PLO als einzige rechtmäßige Vertretung der Palästinenser, die PLO Israel dagegen als eigenen Staat. Zudem ließ Arafat die Passage in der Verfassung der PLO streichen, in der die Vernichtung Israels gefordert wird. Auch der Fatah gab er damit künftig einen friedlichen Weg vor.
Rabin gestand den palästinensischen Organisationen dagegen zu, den Gazastreifen und das Westjordanland als Autonomiebehörden zu verwalten - Grenzen im Inneren Israels, die bis heute Bestand haben. Beide Männer wurden dafür mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.
Aufstieg der Hamas und Kampf um die Vorherrschaft
Die Einigung mit Israel trieb einen Keil zwischen die unterschiedlichen Palästinenser-Organisationen. Radikalere Gruppen, allen voran die islamistische Hamas, sahen darin einen Bruch mit den gemeinsamen Zielen - und gewannen innerhalb der palästinensischen Bevölkerung an Bedeutung. Ab dem Jahr 2000 riefen diese radikalen Gruppen zum Kampf gegen Israel und lieferten sich jahrelange Kämpfe. Immer wieder setzten sie dabei Selbstmordattentäter ein.
Als Jassir Arafat 2004 nach plötzlicher Krankheit starb (bis heute lebt die Legende, er sei vom Mossad vergiftet worden), verschärfte sich der Konflikt um die palästinensische Führung zunehmend. Zum Nachfolger als Vorsitzender der Fatah und der PLO wurde Arafats langjähriger Vertrauter Mahmoud Abbas ernannt. Beide Posten hält er bis heute.
Doch es war die radikale Hamas, die bei den bisher einzigen Parlamentswahlen in den palästinensischen Autonomiegebieten 2006 zur stärksten Fraktion wurde. Daraufhin entbrannte der Konflikt zwischen Hamas und Fatah, beide Organisationen bekämpften einander knapp ein Jahr lang. Schließlich fiel der Gazastreifen an die Hamas, aus dem Westjordanland wurden die Extremisten dagegen vertrieben.
Geld, Macht, Einfluss: So agiert die Fatah heute
Bis heute herrscht die Hamas auf dem Gazastreifen, während die Fatah das Westjordanland und die PLO kontrolliert. Mahmoud Abbas wird daher von Israel, den Vereinten Nationen und ihren Mitgliedern weiterhin als rechtmäßiger politischer Vertreter der palästinensischen Bevölkerung angesehen. Die Hamas gilt dagegen als Terrororganisation.
Die PLO, und damit in weiterer Folge die Fatah, erhält jährlich Gelder von der EU, den USA und sogar aus Israel, damit sie die palästinensischen Autonomiegebiete verwalten und für Sicherheit sorgen kann.
Nach den Terrorangriffen der Hamas auf israelische Zivilisten am 7. Oktober distanzierte sich Abbas am Sonntag von den Terroristen in Gaza. Mit ihrer Politik und ihren Handlungen vertrete die Hamas nicht das palästinensische Volk, erklärte Abbas in einem Telefonat mit dem venezolanischen Präsidenten Nicolás Maduro.
Er verurteilte aber auch die israelischen Luftangriffe auf dem Gazastreifen, in deren Folge bereits tausende Palästinenser vor Ort getötet wurden.
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