Insta-Story aus dem Bürgerkrieg: Wie Influencer Syrien bewerben
„Heuer habe ich beschlossen, nach Syrien zu reisen“, beginnt der Spanier Joan Torres seinen Blogeintrag. Eine Woche war er in Damaskus, Homs und Aleppo, er schreibt von einer „unglaublichen Erfahrung“.
Eva zu Beck ging es ähnlich. Die Youtuberin schwärmt in ihrem 12-Minuten-Video von Syrien: „Ich dachte, das Land ist dürr und leer... Das ist das Bild, das wir in den meisten Medien sehen... doch ich war überrascht!“ Die junge Polin kommt in ihren Videos aus dem Staunen gar nicht mehr heraus. „Ich hatte eine absolut unglaubliche Zeit!“
Wie Torres und Zu Beck zieht es Dutzende Influencer seit mehreren Monaten nach Syrien, acht Jahre nach Beginn des Bürgerkriegs in dem Land, der mehr als 500.000 Tote forderte und Millionen Menschen in die Flucht trieb.
Internet-Stars und Anhänger des Katastrophentourismus reisen aber auch in andere Katastrophengebiete wie nach Tschernobyl. Mehr dazu hier:
Der Erste sein
Reiseagenturen aus Russland und China, aber auch lokale syrische Anbieter laden wieder zu Touren nach Syrien ein. Young Pioneer Tours aus China etwa hat nach eigenen Angaben für 2020 vier Touren geplant.
Die Reisenden seien Leute, die die ersten irgendwo sein wollen. Die Agentur bietet unter anderem auch eine Reise zu einer Waffenmesse in Jordanien an. „Es ist die perfekte Zeit, jetzt Syrien zu besuchen“, sagt John McGovern vom Reisebüro auf Anfrage der Deutschen Presse Agentur.
Das dachte sich wohl auch Eva zu Beck, als sie im Sommer die Syrien-Reise antrat: „Ein Land, seit acht Jahren von einer blutigen Krise zerrissen. Syrien hat seit fast zehn Jahren keine Touristen mehr ins Land gelassen. Ich bin eine der ersten“, freut sie sich in einem ihrer Videos.
Sie habe sich zum Teil viel Kritik anhören müssen, erzählt Eva, als sie sich gerade in Saudi-Arabien aufhält. Die 28-jährige Influencerin, die in den sozialen Netzwerken fast eine Million Abonnenten und Follower hat, hat nicht die üblichen Reisedestinationen. Ihre letzten Aufenthalte waren unter anderem Irak, Jemen und eben Syrien.
„Ich bin keine Abenteurerin, ich will mit den normalen Menschen auf der Straße in Kontakt kommen“, erzählt sie. Das habe nichts mit Voyeurismus oder Propaganda zu tun.
Trotz der immer häufiger werdenden Berichte vorwiegend junger Reisender im Internet, hat der Tourismus in Syrien noch nicht wieder Fahrt aufgenommen. Er bekomme zwar jeden Tag Anfragen, aber tatsächlich kommen würden dann nur einzelne, schreibt Khaldun al-Alami aus Damaskus, der mit seinem Reisebüro Golden Target Tours den Trip für Eva zu Beck organisiert hatte. Es seien Leute aus England, Italien, Frankreich, viele US-Amerikaner, die sich für Syrien interessierten.
Krieg ausblenden
Joan Torres und Eva zu Beck zeigen – wie andere Influencer auch – bunte Bilder aus den syrischen Märkten, von freundlichen Syrern, historischen Gebäuden und beeindruckender Landschaft. Ganz ähnlich wie die Bilder von Khaldun al-Alami.
„Die Stimmung (in Damaskus) war voller Freude und Fröhlichkeit“, schreibt Joan Torres. Er zeichnet damit ein einseitiges Bild, das auch etwa Mitglieder rechter europäischer Parteien wie der AfD verbreiteten, nachdem sie auf Einladung des Assad-Regimes nach Syrien gereist waren. Message: Das Land ist sicher, auch die nach Europa Geflüchteten könnten längst zurückkommen.
Wem nutzen also die touristischen Bilder der westlichen Internet-Stars?
„Schau mal, der Krieg ist praktisch vorbei“, schreibt Torres – und tappt damit in eine Falle. Denn dass es in Syrien keinen Krieg mehr gibt, will vor allem das Regime glauben lassen. Bashar al-Assad kann so den "Stabilisator" mimen und auf internationale Unterstützung hoffen.
Für den deutschen Forschungsassistenten am Nahost-Institut in Beirut, Konstantin Rintelmann, ist Tourismus in Syrien schwierig. Man könne nur nach gründlicher Absprachen mit den Behörden und durch staatlich geprüfte Reiseunternehmen ins Land, sagte er zur Deutschen Presse Agentur. „Durch die selektiven Kameras der Influencer kann die Regierung das Narrativ vermitteln, Assad sei der einzige Garant für Frieden und Stabilität“, sagte Rintelmann.
Dutzende Tote
Immerhin weiß Eva zu Beck, dass das nicht die ganze Wahrheit ist. Am Ende ihres Videos spricht sie von der „Krise“ (das Wort „Krieg“ benutzt sie nicht), durch die Tausende Menschen vertrieben wurden.
Der Krieg in Syrien ist nicht zuende. In der nördlichen Region Idlib sterben derzeit täglich Dutzende Menschen. Und in jenen Städten, die vom Regime zurückerobert wurden, gibt es zwar keine Kämpfe, aber ein rigoroses Vorgehen gegen politische Gegner.
Millionen Menschen wurden vertrieben, andere leben unter strengen Auflagen in ihren Heimatstädten. Zigtausende werden vermisst, ein großer Teil von ihnen wird in geheimen Foltergefängnissen der Regierung vermutet – oder tot.
Kommentare