Dark Tourism: Faszination des Todes und des Makabren

Killing Fields als Tourismus-Destination
Der Tourismussoziologe Wolfgang Aschauer über die Motive, an Plätze von Katastrophen zu reisen.

Auschwitz ist in Polen eine der Top-Destinationen, so wie Tschernobyl in der Ukraine. Was fasziniert Menschen an diesen Orten? Wolfgang Aschauer ist Soziologe an der Uni Salzburg und beschäftigt sich mit dem Phänomen Dark Tourism.

KURIER: Seit wann gibt es den sogenannten Dark Tourism?

Wolfgang Aschauer: Den Begriff gibt es relativ prominent seit den 1990er-Jahren. Ein neues Forschungsfeld hat sich entwickelt: Es zielt auf Reiseformen ab, die mit Tod und Leid in Verbindung stehen. Dark Tourism ist aber kein neues Phänomen. Die Faszination des Todes und des Makabren gibt’s schon lange. Wie die Gladiatorenkämpfe in Rom oder öffentliche Exekutionen im Mittelalter zeigen.

Dark Tourism: Faszination des Todes und des Makabren

Wolfgang Aschauer

Gibt es im Moment einen Boom bei düsterem Tourismus?

Ja. Wir sehen das an steigenden Besucherzahlen an den verschiedensten Orten. Dark Tourism wird neu entdeckt. Viele Destinationen setzen speziell darauf, weil mehr Gäste zu erwarten sind.

Warum suchen die Menschen diese Erlebnisse?

Da gibt es viele soziologische Erklärungen. Das Aufkommen der Erlebnisgesellschaft hängt sicher damit zusammen. Man sucht gezielt nach tief greifenden Erfahrungen. Dark Tourismus sorgt für diese, für den besonderen Kick. Wir suchen im Tourismus nach „memorable experiences“, also nach Erlebnissen, die sich in unser Gedächtnis einbrennen, die nachhaltig wirken. Das ist möglicherweise bei dark-touristischen Reiseaktivitäten eher gegeben als bei anderen.

Weil man sich gerne fürchtet?

Nicht unbedingt, man sucht nach dem Tiefgehenden. Eine große Rolle spielt auch die Aura der Authentizität. Wir haben im heutigen Tourismus oft eine inszenierte Authentizität. Wenn Menschen wirklich in Tschernobyl oder in Auschwitz sind, haben sie das Gefühl, reale Erfahrungen zu machen. Eine andere Erklärung: Wir verbannen die Auseinandersetzung mit Tod und Scheitern mehr und mehr aus unserer Zeit. Mit Dark Tourismus wird diese Lücke wieder gefüllt.

Ist historische Aufarbeitung auch ein Beweggrund für Menschen, bestimmte Plätze zu besuchen?

Das ist auch ein mögliches Motiv. Beim Holocaust Tourismus spielen unterschiedliche Motive eine Rolle wie zum Beispiel der Bildungsauftrag oder Gedenken.

Gibt es ethische Bedenken?

Die Entwicklung wird ethisch sehr kontroversiell diskutiert. Es ist ein Problem, wenn die Schauplätze des Todes zu touristischen Spektakeln verkommen. Denn das ist kein adäquater Umgang mit der Geschichte.

Wie gehen Touranbieter damit um?

Der Tourismus ist Bestandteil des ökonomischen Systems. Es geht um Profit. Wenn Destinationen an Attraktivität gewinnen, wird das auch schonungslos vermarktet. Die Touranbieter versuchen im besten Fall, Wissen zu vermitteln. Im schlimmeren Fall ordnen sie sich den ökonomischen Verwertungslogiken voll unter.

Wenn Dark Tourism zum Massenphänomen wird, was gibt es dann noch zu entdecken?

Ich gehe davon aus, dass der Nachhaltigkeitstrend vielleicht dazu führt, dass Formen des Ökotourismus verstärkt gewinnen. Und: Viele Nischen werden noch touristisch aufbereitet werden. Wachstumstrends im Tourismus sind nicht aufzuhalten.

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