In Washington geht die Angst vor zweitem Angriff des Mobs um
Die Erstürmung des Kapitols durch fanatische Trump-Anhänger hätte noch böser ausgehen können. Nach Ermittlungen der Behörden waren an dem Angriff am 6. Jänner militärisch geschulte Akteure beteiligt. Sie führten neben Waffen und Molotowcocktails und Seilen auch Plastik-Kabelbinder mit sich, wie sie bei Festnahmen benutzt werden.
Geiselnahmen und viele Tote hätten die Folge sein können. Derweil wächst die Angst vor einer zweiten Mob-Attacke bei der Amtseinführung des neuen US-Präsidenten Joe Biden.
Pelosi im Visier
Durch Auswertung von sozialen Medien weiß man, dass am Dreikönigstag im Kongress gezielt nach einzelnen Abgeordneten gesucht wurde – darunter nach der demokratischen Mehrheitsführerin Nancy Pelosi, um sie festzunehmen. Das erinnert daran, dass Extremisten im Oktober das Landesparlament in Michigan stürmen und die demokratische Gouverneurin Gretchen Whitmer entführen wollten.
Lynchjustiz-Atmosphäre
Erste Zielscheibe des Hasses war aber der Vizepräsident. „Hängt Mike Pence!“, riefen Randalierer nach Einbruch ins Parlamentsgebäude. In der Nähe war für den „Verräter“ ein Galgen errichtet worden. Zuvor hatte Trump seinen Vize öffentlich dafür verantwortlich gemacht, dass die Beglaubigung von Bidens Wahlsieg am 6. Jänner nicht verhindert wurde. Beamte, die im gewalttätigen Pulk waren, sprachen von „Lynchjustiz-Atmosphäre“.
Pence wird, anders als Trump, an der Amtseinführung Bidens teilnehmen.
Vor diesem Hintergrund werden Aufrufe in vorwiegend von Rechtsextremen genutzten Diensten wie „Parler“ (just von Google, Apple, Amazon gesperrt) oder theDonald.win zu einem „Million Militia March“ am 20. Jänner zum Kapitol von den Sicherheitsbehörden ernst genommen. „Der Mob will ein zweites Mal zuschlagen“, zitieren US-Medien Stimmen aus dem Sicherheitsapparat.
Land zurückerobern
Biden soll dort zu Mittag den Amtseid ablegen. In sozialen Medien gibt es Appelle, mit Waffen nach Washington zu kommen und das „Land zurückzuerobern“. Für den 20. Jänner wurden zusätzlich über 6.000 Nationalgardisten in die Hauptstadt beordert. Das Kongressgebäude ist neuerdings mit einem schweren Metallzaun gesichert.
Beunruhigung löst außerdem aus, dass die Bundespolizei FBI laut Medien Ermittlungen eingeleitet hat, ob Sicherheitskräfte vor Ort mit Randalierern kooperiert haben. Video-Aufnahmen zeigen, dass Beamte die Anstürmenden Richtung Kongress-Türen geleitet und Barrieren aus dem Weg geräumt haben.
Dazu stellte sich heraus, dass Polizeibeamte aus Texas, Kalifornien, Pennsylvania und Oregon an den gewalttätigen Demonstrationen teilgenommen haben. In Seattle wurden zwei „Cops“ vom Dienst suspendiert.
Amtsenthebung als Ziel
All das spielt mit hinein, wenn die Demokraten am heutigen Montag einen neuen Anlauf zu einem Amtsenthebungsverfahren gegen Trump machen. Einziger Anklagepunkt: „Anstiftung zum Aufruhr“. Trump habe sich mit seiner Rede unmittelbar vor dem Eklat im Kapitol als rhetorischer Brandstifter betätigt, ist der Tenor des Schriftsatzes. Er bleibe eine „Gefahr für die nationale Sicherheit, die Demokratie und die Verfassung, wenn er im Amt bleiben darf“. Darum müsse er sofort entfernt und für künftige Regierungsfunktionen gesperrt werden.
Im Senat spießt es sich
Im Repräsentantenhaus könnte das Verfahren dank der demokratischen Mehrheit noch in dieser Woche durch sein. Aber dann geht es in den Senat, wo die Republikaner noch die Mehrheit haben. Derzeit plädieren nur vier republikanische Senatoren offen für Trumps Amtsenthebung, aber es braucht 17, die mit den Demokraten stimmen. „Die Zahl erscheint nicht wirklich darstellbar“, sagen Insider.
Was noch erschwerend dazu kommt: Mitch McConnell, der noch tonangebende Republikaner im Senat, will sich frühestens am 19. Jänner erstmals mit der Materie beschäftigen.
Joe Biden hat – obwohl er überzeugt ist, dass Trump zur Rechenschaft gezogen werden muss – andere Prioritäten. Um sein Kabinett und ein neues Paket zur Bekämpfung der Pandemie durch den Kongress zu bekommen, benötigt er Ressourcen, die erfahrungsgemäß von einem Amtsenthebungsverfahren absorbiert würden.
Auch ahnt der 78-Jährige, dass sein Angebot, verhandlungswilligen Republikanern die Hand zu reichen und im Partisanen-Krieg der Parteien abzurüsten, leiden würde, wenn die ersten Wochen des Jahres von demokratischer Denkzettel-Politik gegen Trump dominiert wären.
Trump hinter Gittern
Dazu kommt, dass sich in breiten Teilen der Bevölkerung offenbar Unrechtsbewusstsein und Demokratie-Akzeptanz verschoben haben. 45 Prozent der Trump-Wähler hießen den Angriff auf das Kapitol gut, da Trump die Wahl „gestohlen“ worden sei. Eine Amtsenthebung – die 57 Prozent der Amerikaner befürworten – könnte ihn zum Märtyrer machen.
Die demokratische Partei will ein Exempel statuieren. Pelosi, in der Hierarchie die Nummer 3 im Staat, verlangt sogar den Einsatz des Strafrechts: „Pelosi will Trump im Gefängnis sehen“, heißt es in Parteikreisen.
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