Hillary auf Friedenseinsatz

Hillary auf Friedenseinsatz
Die US-Außenministerin drängt auf einen Waffenstillstand in der Gaza-Krise. Israel aber bleibt vorerst skeptisch.

Die Telefonleitungen zwischen Ostasien und dem Nahen Osten glühten in der Nacht von Montag auf Dienstag. Auch als es in Kambodscha schon längst Schlafenszeit war, war US-Präsident Barack Obama wach und sprach mit dem israelischen Premier Benjamin Netanyahu, UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon, dem ägyptischen Präsidenten Mohammed Mursi sowie mit Vertretern der Palästinenser. Obama schickte seine Außenministerin Hillary Clinton, die mit ihm in Asien war, in den Nahen Osten.

Hillary auf Friedenseinsatz
epa03480127 A handout photo provided by the U.S. Embassy in Tel Aviv, Israel, on 21 November 2012 shows U.S. Secretary of State Hillary Rodham Clinton (L) meeting with Israeli Prime Minister Benjamin Netanyahu (R) in Jerusalem, 21 November 2012, after her talks with Palestinian Authority officials in Rammallah. U.S. Secretary of State Hillary Rodham Clinton as well as United Nations Secretary-General Ban Ki-moon arrived in the region to support and encourage a peace deal brokered by Egypt. EPA/MATTY STERN/U.S. EMBASSY ISRAEL / HANDOUT HANDOUT EDITORIAL USE ONLY
Dienstag Abend schienen die Weichen für einen Waffenstillstand gestellt. Doch Israel blieb zuletzt doch skeptisch. Die Regierung in Jerusalem verlangte eine 24-stündige Einstellung aller Raketenangriffe aus Gaza als Bedingung für eine Feuerpause. Die Raketen flogen also zunächst weiter.

Seit vergangenem Mittwoch sind bereits 115 Palästinenser und fünf Israelis bei Raketenangriffen gestorben. Mindestens ein Dutzend Palästinenser starben am Dienstag. Hunderte Menschen sind verletzt in den Krankenhäusern auf beiden Seiten.

Am frühen Dienstagmorgen hatte ein israelisches Geschoß ein Gebäude der Islamischen Nationalbank in Gaza City getroffen, über die die Hamas ihre Gehälter ausbezahlt. Auf israelischer Seite wurden nicht nur erneut die südlichen Städte Beersheva, Ashdod und Ashkelon getroffen, auch in Tel Aviv schlug eine Rakete in ein Hochhaus ein. Mehrere Bewohner wurden verletzt. Während einige internationale Politiker in Jerusalem waren, schlug auch dort eine Hamas-Rakete ein.

Clinton traf sich in Jerusalem mit Premier Netanyahu, später wollte sie mit Palästinenservertretern im Westjordanland sprechen, ehe sie nach Kairo weiterreiste. Dort laufen seit dem Wochenende fieberhafte Verhandlungen über eine Waffenruhe.

Doch Bodenoffensive?

Auch UN-Chef Ban Ki-moon traf zu Gesprächen mit Israels Premier Netanyahu zusammen. Der erklärte im Anschluss, sein Land wäre bereit, eine langfristige, diplomatische Lösung mitzutragen, sei aber auch auf eine Bodenoffensive eingestellt. Viele Bewohner des nördlichen Gaza-Streifens wurden in Flugzetteln aufgefordert, ihre Häuser zu räumen. Für Beobachter ein klarer Hinweis auf einen möglichen Bodenangriff Israels.

Umsonst hatte sich Präsident Mohammed Mursi zuvor optimistisch gezeigt. Er erklärte in Kairo, dass es „in wenigen Stunden“ zu einer Feuerpause kommen könne. Bedingung für die Palästinenser war unter anderem ein sofortiges Ende der Gaza-Blockade, für Israel kam eine derartige Lockerung nur schrittweise in Frage. Die Hamas erklärte schließlich am Abend: Dienstag sei nicht mehr mit einer Einigung auf Waffenruhe zu rechnen.

Parallel zu den Verhandlungen liefen die Vorbereitungen für einen Einmarsch jedoch weiter. Die Hamas zeigte sich selbstbewusst: „Wenn sie eine Offensive wollen, sind wir bereit“, sagte ihr neuer Militärchef am Dienstag.

Auch bei den Vereinten Nationen suchte man nach einer Lösung für die Krise. Die USA lehnten einen arabischen Vorschlag zu einer UN-Erklärung ab. Auch Moskau wollte einen Text vorlegen.

KURIER: Erwarten Sie in den nächsten Tagen, Wochen eine israelische Bodenoffensive im Gazastreifen?
Michael Lüders: Ich glaube nicht, dass Israel es wagt, in den Gazastreifen einzumarschieren. Militärisch wäre es kein Problem. Aber Israel würde sich damit politisch isolieren. Israel hat die Unterstützung des Westens, doch die geopolitische Lage hat sich verändert. Wir haben islamistische Regierungen in einigen Nachbarstaaten.

Was passiert, wenn Israels Armee trotzdem einmarschiert?
Da wage ich keine Prognose. Dann ist die Luft am Brennen. Dann wird es wirklich gefährlich.

Was, wenn etwa radikale Sinai-Kämpfer eingreifen? Was würde Israels Militär dann machen?
Israel ist umgeben von Nachbarn, die die einseitige westliche Unterstützung Israels Leid sind. Sie haben sich längst mit dem jüdischen Staat inmitten muslimischer Staaten abgefunden. Ägypten und Jordanien haben auch Friedensverträge mit Israel. Auf massive Ablehnung stößt jedoch Israels Siedlungs- und Besatzungspolitik in den Palästinensergebieten – inklusive Grenzabriegelung und Raketenbeschuss. Seit der Ermordung von Yitzhak Rabin 1995 geht die israelische Führung stetig nach rechts. Heute haben wir eine ultranationalistische Regierung mit Unterstützung der Orthodoxen, mit großem Einfluss der Siedler.

Was, wenn Israels Armee doch eine Bodenoffensive unternimmt? Wie groß ist die Gefahr, dass der Krieg in Syrien auf Israel übergreift? Auch die Lage im Libanon ist fragil.
Ich bin optimistisch, dass es Israel nicht darauf ankommen lässt. Wir haben massiven Druck der internationalen Staatengemeinschaft. UN-Generalsekretär Ban Ki-moon hat sich eingeschaltet. Briten und Amerikaner haben unmissverständlich signalisiert, dass Israel das lassen soll. Aber wir haben ein
irrationalistisches Element – oder lassen Sie es mich so sagen: Premier Benjamin Netanyahu ist kein ausschließlich rationalistischer Akteur.

Was meinen Sie damit?
Netanyahu konnte nicht gegen den Iran Krieg führen, wie er wollte. Also warum jetzt nicht im Gazastreifen? Er hat nur bis nach den Wahlen in den USA gewartet. Übrigens: Es gibt Hinweise darauf, dass der in der Vorwoche im Gazastreifen durch einen israelischen Luftangriff getötete Militärchef der Hamas, Ahmed al-Jabari, bereit war, einen Friedensvertrag mit Israel zu unterzeichnen.

Welche Rolle spielen die israelischen Parlamentswahlen im Jänner für Netanyahus scharfen Kurs?
Natürlich sind die wichtig. 80 Prozent der Israelis stehen hinter der Militäraktion. Damit wird Netanyahu einen überwältigenden Sieg einfahren. Aber es ist ein Pyrrhussieg. Israel gerät zunehmend in politische Isolation.

Vom Iran hört man nichts?
Der Iran hält jetzt still – und ist der lachende Dritte. Israel ist erstmal beschäftigt. Aber ich halte es nicht für ausgeschlossen, dass Netanyahu nach den Wahlen wieder den Iran ins Visier nimmt.

(Interview: Ulrike Botzenhart)

Was hat sich in Nahost durch den Umbruch in Ägypten geändert?

Die Rolle als Nahost-Vermittler hat der ägyptische Präsident Mohammed Mursi von seinem Vorgänger Hosni Mubarak geerbt. Mubarak hatte sich stets engagiert, wenn es darum ging, eine Waffenruhe zu vereinbaren, einen Gefangenenaustausch zu organisieren oder Friedensverhandlungen in Gang zu bringen. Ägypten erhielt dafür Unterstützung aus dem Westen. Auch sahen die USA und andere Geberländer großzügig über Menschenrechtsverletzungen des Mubarak-Regimes hinweg. Auch der Islamist Mursi ist auf Unterstützung angewiesen. Außerdem ist die Hilfe für die Palästinenser eine wichtige Säule der Ideologie der Muslimbruderschaft, der Mursi bis vor kurzem angehörte.

Wo steht Ägypten im aktuellen Konflikt zwischen Israel und Hamas?

Die Sympathien der neuen ägyptischen Führung liegen eindeutig bei der radikal-islamischen Hamas-Bewegung. Denn die Hamas ist eine Abspaltung der in Ägypten gegründeten Muslimbruderschaft, die in Kairo aktuell den Präsidenten und einen Großteil der Minister stellt. Trotzdem haben die ägyptischen Islamisten betont, dass sie die diplomatischen Beziehungen mit Israel nicht abbrechen wollen. Damit sind sie in der Realpolitik angekommen. Denn insgeheim hoffen die Muslimbrüder immer noch auf eine "Befreiung von ganz Palästina mit der Hauptstadt Jerusalem".

Wie profitieren die Ägypter von ihrer Vermittlerrolle?

Präsident Mursi und die Muslimbruderschaft können sich in einer innenpolitisch kritischen Phase jetzt als Rettungsanker der Palästinenser in Gaza profilieren. Denn in Ägypten tut sich im Moment ein großer Graben auf. Auf der einen Seite stehen die Islamisten, auf der anderen Seite die Liberalen, die Linken und die Christen. Im Nahost-Konflikt sind die Ägypter dagegen fast alle einer Meinung - sie lehnen den jüdischen Staat ab und sympathisieren mit den Palästinensern.

Was ist los an der ägyptischen Ostgrenze?

Ex-Präsident Mubarak war kein Freund der Hamas. Deshalb machte er den Grenzübergang bei Rafah, der den Gazastreifen mit der ägyptischen Sinai-Halbinsel verbindet, nach der Machtübernahme durch die Hamas in Gaza dicht. Präsident Mursi hat hier einen Kurswechsel vorgenommen. Er hat Rafah zum Eingangstor für ausländische Staatsgäste der Hamas-Regierung gemacht. Da sich Mursi als Islamist nicht mit den militanten Salafisten auf dem Sinai anlegen will, ist die israelisch-ägyptische Grenze in den vergangenen Monaten durchlässiger und unsicherer geworden.
 

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