Grünes Licht für Gaza-Einmarsch
Mitten in der Nacht habe ich den Anruf bekommen“, erzählt Itzik, ein junger Israeli, im TV. Dann habe er seine Sachen gepackt und jene Freunde angerufen, von denen er wusste, sie wären auch dabei. „Wenig später waren wir schon auf dem Weg in Richtung Gaza.“ Itzik ist einer von 16.000 Soldaten, die bereits vor dem Gazastreifen in Stellung gebracht wurden. „Wir räuchern sie jetzt aus“, sagt ein 24-Jähriger. Ein anderer ist weniger offensiv. Er gesteht, er habe Angst. Viele der jungen Menschen verbrachten schon die zweite Nacht im Grenzgebiet, wo Panzer und anderes schweres Gerät positioniert wurden.
75.000 Reservisten standen zudem seit Freitag auf Abruf für einen möglichen Einmarsch bereit. Die Straßen nach Gaza wurden gesperrt, eine große Fläche zur Militärzone erklärt. Weiter wurden Raketen aus dem Gazastreifen abgefeuert. Erneut heulten am Samstagnachmittag in der Metropole Tel Aviv die Sirenen zum Luftalarm. Diesmal konnte das Abwehrsystem „Iron Dome“, das erst kurz zuvor vor der Stadt installiert worden war, die Rakete der Hamas abfangen. Die Teile fielen ins Meer.
Am frühen Samstagmorgen hatte die israelische Armee mit ihren Raketen wichtige Ziele der Hamas getroffen. Darunter den Regierungssitz, vor dem wenige Stunden zuvor noch der ägyptische Premier Hisham Kandil empfangen worden war. Weitere Ziele waren die Polizeizentrale der Hamas, das Hauptquartier der Inneren Sicherheit, das Haus eines Hamas-Funktionärs sowie Schmugglertunnel an der Grenze zu Ägypten. Fast 1000 Raketenangriffe flog die israelische Armee seit Mittwoch, immerhin 600 die Hamas. Am Samstag gingen die Bombardements auf beiden Seiten weiter, waren zuletzt aber seltener. In vier Tagen starben 45 Palästinenser und drei Israelis. Die meisten Toten sollen Zivilisten sein. Auf beiden Seiten lebt die Bevölkerung in Angst vor weiteren Raketen.
Zwei Kleinkinder getötet
Israels Armee hat auch in der Nacht auf Sonntag die Angriffe im Gazastreifen fortgesetzt. Eine israelische Militärsprecherin bestätigte, es seien Ziele von See und aus der Luft angegriffen worden. Nach israelischen Medienberichten feuerten militante Palästinenser nach Mitternacht zunächst keine Raketen mehr auf Israel ab. In der Früh heulten allerdings in mehreren Ortschaften in der Nähe des Gazastreifens wieder die Sirenen. Bemühungen um eine Waffenruhe hätten bisher keinen Erfolg gehabt, berichteten israelische Medien.
Nach Angaben des palästinensischen Gesundheitsministeriums und von Augenzeugen wurden bei den Angriffen in der Nacht zwei Kleinkinder getötet und etwa 25 Menschen verletzt.
Nach dem ägyptischen Premier zeigte am Samstag auch der tunesische Außenminister Rafik Abdel Salam seine Solidarität mit Gaza. Bei einem Besuch in Gaza City verurteilte er die Angriffe auf das Palästinenser-Gebiet als völkerrechtswidrig. „Was Israel tut, ist illegitim und nicht hinnehmbar“, sagte er vor den Trümmern des Hamas-Regierungssitzes.
Feuerpause
Und tatsächlich. Kurz vor Mitternacht berichteten israelische Medien von einer möglichen Feuerpause ab Sonntag. Ägyptens Präsident Mursi hatte zuvor bei einer Pressekonferenz mit dem türkischen Premier Erdogan von „Anzeichen einer Feuerpause“ gesprochen. sowohl Israel als auch die Hamas sollen einen Unterhändler nach Kairo geschickt haben. Es soll schon am Samstag einen Entwurf über eine Vereinbarung gegeben haben.
Bis Samstagabend hörte und sah man im Süden Israels aber weiter Raketen. Militärfahrzeuge waren weiter auf der Straße Richtung Süden unterwegs.
Die Hamas hatte sich davor noch kämpferisch gegeben: „Israel wird einen hohen Preis für seine Verbrechen zu zahlen haben. Wir schwören Rache für Tod und Schrecken, die die Besatzer über unsere Menschen bringen“, hieß es in einem Statement. Einen Waffenstillstand wollte man eigentlich nur eingehen, wenn die israelisches Seite alle militärischen Aktionen einstelle und mit den „Morden“, wie jenem am Militärchef der Hamas am Mittwoch, mit dem der Raketenwechsel begann. Eine Deeskalation wäre auch im Sinne Israels. Zumal die seit vier Tagen laufende Operation laut Medien pro Tag rund 170 Millionen Schekel (34 Mio. Euro) kostet.
Unterdessen sollen über den immer wieder „zu humanitären Zwecken“ geöffneten Rafah-Grenzübergang via Ägypten neue Langstreckenraketen in den Gazastreifen gelangt sein. Die Hisbollah im Libanon sei außerdem „in Bereitschaft“, heißt es in Gaza. Die Hamas hat viele Unterstützer in der arabischen Welt, ihre Hauptgeldquellen liegen im Iran, aber auch in den Golf-Monarchien.
Immer wieder sieht man Feuer und Rauch“, erzählt Yusef Al-Helau aus Gaza City dem KURIER am Telefon. „Die Explosionen und die Drohnen sind laut, die Gebäude wackeln.“ Es sind deutlich weniger Menschen auf der Straße als gewöhnlich. Die Menschen in Gaza haben Angst vor den israelischen Raketen. Familien decken sich mit Lebensmitteln ein, so gut es geht, denn bei einem Einmarsch der Israelis will man gewappnet sein. Doch die meisten Geschäfte sind geschlossen.
Krankenhäuser rufen zu Blutspenden auf, Medikamente werden knapp. Immer weniger Tankstellen haben geöffnet. Der Treibstoff geht langsam aus, das merkt man daran, dass weniger Autos fahren als gewohnt. Viele Menschen gehen mehrmals täglich in die Krankenhäuser, um sich zu erkundigen, ob Familienangehörige verletzt sind. Fernhalten sollen sie sich vor allem von Häusern und Menschen, die mit der Hamas oder Widerstandskämpfern in Verbindung gebracht werden, heißt es in einem Statement der Gaza-Regierung.
Im von der Hamas kontrollierten Gazastreifen leben rund 1,7 Millionen Palästinenser. „Die Menschen sind in Panik“, sagt Al-Helou. Sie hätten Angst vor einem Einmarsch der Israelis. Doch die Hamas wisse sich zu helfen: Wenn die Truppen einmarschieren, sollen sie sich auf Hunderte Selbstmordattentäter gefasst machen, soll ein Sprecher gesagt haben. Bis zuletzt war nicht sicher, ob die Bodenoffensive wirklich stattfinden würde, oder ob Israel die Stationierung seiner Truppen nur als Druckmittel nutzen wollte.
Krieg in den Medien Auf beiden Seiten ist die Propaganda voll angelaufen. Palästinenser zeigen Journalisten Bilder von verletzten und getöteten Kindern, Israelis betonen das „Recht auf Selbstverteidigung“, wo es nur geht. Man tue alles, um Zivilisten zu verschonen, heißt es auf israelischer Seite. Dazu nutze man die modernste Technik und Präzisionsgeräte, sagte die Sprecherin des Militärs zu AlJazeera.
„Israel sagt, es führe einen Krieg gegen die Hamas. Aber zwei Drittel der Menschen im Gazastreifen haben mit der Hamas nichts zu tun“, sagt Al-Helou am Telefon. „Sie zahlen jetzt den Preis für die Fehler der Politik.“
Raketen und Abwehr Fajr-5 Jene Raketen, die vom Gazastreifen aus Tel Aviv und Jerusalem getroffen haben, sind vermutlich Fajr-5-Raketen, die 2006 im Iran entwickelt wurden. Sie haben eine Reichweite von etwa 75 km. Wesentlich mehr als die bisher genutzten selbst gebauten Geschoße der Hamas. Die Hisbollah nennt dieselben Raketen „Khaibar-1“. Khaibar hieß das legendäre letzte jüdische Dorf, das im 7. JH von Arabern erobert wurde.
Iron Dome Als Schutz vor Raketenangriffen hat Israel mit Hilfe der USA ein Abwehrsystem aufgebaut. „Iron Dome“ soll Kurzstreckenraketen von bis zu 70 km abfangen. Angesichts der Angriffe aus dem Gazastreifen wurde gestern ein System vor Tel Aviv stationiert. Vier andere stehen in der Nähe des Gazastreifens. Sie sollen in den vergangenen Tagen mehr als 200 der rund 500 Hamas-Raketen abgefangen haben.
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